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Matreus
Fiasko




Fiasko


1

Matreus eilte zur Zentrale. ‚Hoffentlich ist der Meister einigermaßen gut gelaunt’ dachte er und erinnerte sich an den letzten Patzer, den er sich geleistet hatte.

Nein, daran wollte er nun nicht mehr denken.

Sollte sein Meister, Zanrelot, schlechte Laune haben, würde ihn die Information vielleicht ein bisschen besänftigen. Bei guter Laune wurde er Matreus vielleicht sogar loben. Das kam sehr selten vor. Zanrelot sah nur kurz vom Bildschirm auf, als Matreus die Zentrale betrat.

„Und“? frage er nur leicht genervt. „Was hast du zu berichten? Was treiben die Wächter oben schon wieder?“

„Meister, es scheint, als würden die Wächter für eine Zeit getrennt sein. Anscheinend wird Otti morgen für 2 Wochen auf einen Schüleraustausch nach England fahren.“

Matreus erschrak ein wenig, als Zanrelot sich blitzartig umdrehte.

„Sehr gut Matreus. Das ist eine wirklich interessante Neuigkeit.“

Erleichtert atmete Matreus auf, bis Zanrelot gereizter nachstetzte: „Und warum erfahren wir das erst jetzt? Das ist doch bestimmt seit Monaten geplant! Was hast du in den letzten 2 Wochen gemacht, als du die Wächter ausspionieren solltest?“

„Meister, ich..“ begann Matreus, wurde aber sogleich unterbrochen.

„Ach, ich habe keine Lust mir eine deiner Ausreden anzuhören“ winkte sein Gegenüber ab, „und auch keine Zeit dazu. Ich arbeite seit Kurzem an einem neuen Plan. Da nun dieses glückliche Ereignis namens Schüleraustausch ansteht, muss ich ihn zu Ende bringen. Die Gelegenheit ist günstig. Ohne diesen Schlaukopf Otti kann die Wächterbrut nicht gegen mich bestehen. Weder mit ihrer Magie, noch mit ihrer Intelligenz.“


2

„Otti, nun hör endlich auf mit Larissa zu telefonieren und pack bitte deinen Koffer. Es wird auch langsam Zeit fürs Bett.“ Julias Stimme tönte den Flur hinauf.

‚Och ne, Mama’ dachte Karo, ‚es ist doch wohl gerade erst 9 Uhr. Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr. Außerdem wollte ich auch noch mit Larissa sprechen. Ist ganz schön anstrengend, wenn die beste Freundin mit dem Bruder zusammen ist.’
„Otti!“ sagte sie laut. „Los, mach fertig. Ich muss auch noch mit Larissa sprechen!“

„Ja, ja, ich bin ja gleich fertig. Ich muss mich doch wenigstens in Ruhe verabschieden können. Schließlich werde ich sie 2 Wochen nicht sehen!“ rief Otti zurück.

Karo war langsam genervt. „Du hattest doch den ganzen Nachmittag zum Verabschieden. Larissa ist doch erst vor einer Stunde gegangen!“

In der Mitte des Trubels stand Leonie und hielt sich die Ohren zu. Eigentlich hatte sie schon im Bett gelegen. Aber in dem derzeit herrschenden Chaos hatten das wohl alle vergessen und bei dem Krach konnte schließlich kein Mensch schlafen.
„Komm Kasimir, wir gehen nach unten. Schlafen können wir hier oben eh nicht.“


3

„Matreus!“ Wie so oft schallte dieser Ruf durch die Unterwelt.

Matreus, der sich grade in der Seelenhalle beim Staubwischen befand, hätte vor Schreck beinahe eine Flasche vom Regal gefegt. Aber glücklicherweise konnte er sie im letzten Moment noch auffangen. „Glück gehabt“, murmelte er vor sich hin und machte sich schleunigst auf den Weg in die Zentrale. Der Meister schien nicht so schlecht gelaunt zu sein wie gestern Abend. Nach 500 Jahren Übung konnte er das diesem einen gerufenen Wort entnehmen. Das könnte bedeuten, dass der Plan fertig war. ‚Na dann habe ich endlich wieder was zu tun. Dieses Schaubwischen langweilt mich zu Tode’

Er betrat die Zentrale und sah den Herrscher der Finsternis erwartungsvoll an.

Zanrelot saß vor dem Monitor, der ein Bild vom Haus der Wächter zeigte.
„Matreus, geh nach oben und ärgere die Kinder. Wenn Otti weg ist, wird es viel einfacher sein sie zu entzweien. Er ist der ruhige Pol, der alles zusammen hält.
Und wenn sie dann zerstritten sind, werden sie meinen Pan nicht durchkreuzen.“ Er sah sich kurz zu Matreus um, der immer noch dastand und sich nicht rührte. „Nun geh! Worauf wartest du?“


4

„Pinkas Sörensen!“ brüllte Karo durch das Haus. Es war grade erst kurz nach 7 Uhr morgens, aber irgendwie schien sich die Stimmung von gestern nicht beruhigt zu haben. „Was bitte macht MEIN MP3-Player in DEINEM Zimmer?!?!“

„Und was bitte machst DU in meinem Zimmer?“, brüllte Pinks zurück. „Darin hast du gar nichts verloren!“

„Nein verloren nicht. Mir wurde eher was entwendet. Und das habe ich mir lediglich zurückgeholt!“ Karo lief in den Flur und traf dort auf Pinkas, der grade aus dem Badezimmer kam. ‚Hihi’ ,musste sie in Gedanken lachen. ‚Seine Haare sind ja eigentlich immer strubbelig', dachte sie. ’Aber diese Strähne, die da wie ein Horn in die Luft ragt, ist schon wieder süß.’

„Ich habe deinen blöden Player nicht genommen. Wahrscheinlich hast du den wieder liegen lassen, als du in meinem Zimmer rumspioniert hast!“

„Hallo! Ich glaube’s jawohl nicht. Ich dir hinterherspionieren…“.

Leonie kam aus dem Zimmer gestürmt. „Pinkas, Karo könnt ihr nicht mal ruhig sein? Kasimir und ich wollten eigentlich noch schlafen. Ich muss heute erst zur 3. Stunde!“

Böse grummelte Karo vor sich hin und warf Pinkas einen vernichtenden Blick zu.
„Sorry, Leonie. Geh wieder in Bett, wir werden versuchen, leiser zu sein.“

„Na, jetzt bin ich eh wach!“, meinte Leonie. Dafür blockiere ich jetzt das Badezimmer! Komm Kasimir!““

„Leo, da wollte ich grade hin! Ich muss doch gleich los!“ Karo war entrüstet. Alle schienen sie heute ärgern zu wollen. Erst war ihr MP3-Player verschwunden und nun ärgert sie auch noch Leonie. Sie ging die Treppe hinunter. Böse eilte sie in die Küche. Leider übersah sie dabei Ottis Koffer, der an der Tür geparkt war und stieß dagegen. „Au! verflucht! Muss denn dieser Koffer hier stehen?“ ‚heute ist echt nicht mein Tag’ setzte sie in Gedanken dazu.

„Heute ist echt nicht mein Tag“, sagte Julia, als sie in die Küche kam. Erstaunt sah Karo auf. Hatte sie das nicht grade selbst gedacht?
„Sascha, hast du meine weiße Bluse mit der Buntwäsche zusammen gewaschen? Die ist ganz grün! Wobei ..was rede ich denn da? Du weißt doch gar nicht, wie man eine Waschmaschine benutzt! Das bleibt doch immer alles an mir hängen!“

„Ach liebe Julia“, kam Sascha gutgelaunt in die Küche. „So ist nun mal die klassische Rollenverteilung“ scherzte er. Doch damit erwischte er Julia heute auf ganz falschem Fuß.

Sofort entbrannte ein Wortgefecht über die Verteilung der Arbeiten im Haushalt, Aufgaben der Kindererziehung und Ungerechtigkeiten der Welt.

‚Ich muss hier raus’, dachte Karo, schnappte sich ein trockenes Brötchen und floh aus der Küche. Eigentlich hatte sie sich noch von Otti verabschieden wollen. Schließlich würde sie ihn 2 Wochen nicht sehen. Ist schon komisch, erst wollte sie mit den Sörensens nicht unter einem Dach wohnen, aber inzwischen ist es irgendwie schön. Und komisch, wenn jemand fehlt.

Als sie an der Schule ankam, wartete bereits Larissa auf sie.
„Du sag mal, meinst du deine Eltern erlauben, dass du heute bei mir schläfst? Meine Eltern sind über Nacht nicht da und haben doch tatsächlich unsere Nachbarin als Babysitter engagiert. Aber wenn du bei mir schläft, haben meine Eltern gesagt, würde sie nur zwischendurch mal rüberkommen und gucken ob alles OK ist und nicht den ganzen Abend bei uns vor dem TV hocken.“

„So mitten in der Woche?“ Karo runzelte die Stirn. „Du keine Ahnung. Bei uns ist momentan irgendwie dicke Luft. Alle sind gereizt. Ist vielleicht ganz gut, da mal rauszukommen.“


5

Wieder einmal schlich Matreus um das Haus von Tante Hedda, in dem die Wächter nun wohnten. Das hatte er so oft getan, dass er inzwischen schon jeden Strauch, fast schon jedes Blatt, auswendig kannte.
„Nanu, kleine Karo. Wohin denn noch des Weges um diese Zeit?“

„Und ruf an, wenn du bei Larissa bist“, hörte er Julia rufen.
„Ja Mama, ich fahr den Weg ja nun nicht zu ersten Mal!“
Matreus grinste. Schön, wie genervt Karo sich anhörte. Die kleinen Streiche, die er der Familie den ganzen Tag über gespielt hatte, waren anscheinend erfolgreich gewesen. Karo würde also bei Larissa übernachten. Fein. Leonie saß alleine vor dem Fernseher. Pinkas hatte heute aufgrund seines heutigen Fehlverhaltens in der Schule nachsitzen müssen und hatte daraufhin von Sascha noch Hausarrest bekommen. ‚Ich weiß nicht, was da passiert ist. Ich kann mir das nicht erklären’, hatte Pinkas immer wieder beteuert. ‚Naja’, dachte Matreus, ‚jetzt weißt du mal, wie mir das geht. Ich denke, ich habe meine Aufgabe hier erfüllt.’
Matreus drehte sich und ging durch das Portal in die Unterwelt.


„Nun Matreus, wie ich sehen konnte, hast du deine Aufgabe erfüllt und Unfrieden gestiftet.“ Zanrelot trat zu Matreus. „Sehr gut!“

Matreus freute sich über das Lob, wollte sich aber nichts anmerken lassen und schwieg. Aber in seinem Inneren überkam ihn ein wohliges Gefühl, das sich immer einstellte, wenn Zanreot ihn mal lobte.

„Schade, dass du deine Aufgaben nicht immer so zuverlässig erledigst.“

Zack, das saß! Matreus rutschte das Herz in die Hose. Hatte er schon wieder etwas falsch gemacht? Er konnte sich an nicht erinnern, was er wohl verbrochen haben könnte. Die soeben aufgekeimte Freude schlug jäh in Entsetzen um.

Als der Meister sich umdrehte und zum Computer ging, atmete er erleichtert aus. Anscheinend gab es keinen konkreten Fehler, den er gemacht hatte. Sondern er war nur so im Allgemeinen nach Ansicht des Meisters unfähig. Wie so oft.

„Mein neuer Plan ist nun ausgereift. Du wirst diesen Stein hier in einen der Türme der Doms bringen und dort verstecken. Ich habe dir doch vor ein paar Tagen den Zauberspruch zum Aktivieren magischer Artefakte beigebracht. Zumindest habe ich versucht, ihn dir beizubringen.“ Seine Augen schimmerten grünlich, als er sich an diese Lehrstunde erinnerte. „Damit kannst du auch diesen Stein aktivieren. Sieh zu, dass du danach sofort wieder in die Unterwelt kommst!“

„Meister, was bewirkt dieser Stein? Ist er gefährlich für uns?“, traute sich sein Helfer zu fragen.

„Hast du denn wieder nicht aufgepasst?“ Seine Stimme klang wieder einmal gereizt. Matreus war zwar recht bemüht, aber Zanrelot glaubte nicht, dass er irgendwann einmal den richtigen Dreh in seine Magie bekommen würde. Dafür hing dieser einfach zu sehr an der Oberwelt und Gefühlen wie Liebe.
„Dieser Stein wird eine Art Schild über der Stadt errichten, die keine Signale mehr durchlässt. Die Lübecker werden ohne Fernsehen und Handy sein, ohne GPS und den ganzen Firlefanz. Damit sind sie so gut wie hilflos. Sie werden sich langweilen und ärgern und ihren Unmut schließlich ausleben. Dann wird meine Macht steigen und schließlich werde ich die Stadt übernehmen.“ Zanrelot lachte. „Und nun geh. Und verstecke den Stein gut. Die Wächter sind zwar derzeit getrennt und unvollständig, aber trotz allem nicht doof oder hilflos.“


6

“Mama? Karo hier. Hier ist der versprochene Kontrollanruf. Ja, ..ja.. Nein, wir gehen nicht so spät ins Bett.. wir…Mama?.. Bist du noch da?“ Karo guckte verwirrt ihr Handy an. „Komisch“, sagte sie zu Larissa. „Plötzlich war die Verbindung unterbrochen.“
Larissa zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist das Netz überlastet. Kommt ja öfter mal vor. Was wollen wir machen? Pizza und fernsehen oder Pizza und chatten?“
Karo grinste. „Pizza ist vom Prinzip her schon mal eine gute Idee. Mama macht ja immer viel Grünzeug. Pizza und Döner gibt es bei uns nur, wenn Sascha kocht.“

Unruhig stromerte Leonie durchs Haus, auf der Suche nach irgendwem, der ihr helfen konnte.
„Da habe ich endlich mal den Fernseher für mich und nun geht das doofe Ding nicht", schimpfte sie vor sich hin. „Kasimir, tu doch was!“
„Tut mir leid, Leonie. Aber das ist Technik, keine Magie. Da kann ich nichts machen“
Enttäuscht schaute Leonie ihn an. „Momentan könnte ich eher einen Fernsehtechniker gebrauchen als einen Wadz.“ Gleich darauf biss sich Leonie auf die Lippe, als sie Kasimirs entrüstetes Gesicht sah. „Tut mir Leid Kasimir. Irgendwie hatte ich heute einen schlechten Tag“.

Im Arbeitzimmer fand sie Julia am Schreibtisch sitzend. Wie üblich wenn sie schrieb, lag der Schreibtisch voller beschriebener Zettel, auf denen immer wieder einiges weggestrichen wurde. Irgendwie kam sie heute nicht so recht weiter. ‚Wie soll ich mich auch konzentrieren können, wenn alle in diesem Haus verrückt spielen.’ Julia sah auf und bemerkte, dass Leonie den Raum betrat. „Ja bitte, Leonie. Was ist los? Ist es nicht schon Zeit fürs Bett?“

Leonie hielt inne und kehrte um. „Anscheinend haben heute alle einen schlechten Tag!“, murmelte sie. „Na gut Kasimir, dann lesen wir heute mal was.“


7

Eiligst machte sich Matreus auf den Weg, um im Dom den Stein zu deponieren. Er erschien in einem Gebüsch direkt neben dem Dom. Leider war er dort nicht alleine. Ein Liebespärchen hatte sich dorthin zurückgezogen und war so mit sich selbst beschäftigt, dass sie ihn nicht bemerkten. Angeekelt verzog der junge Magier das Gesicht. Selbst, wenn er der Liebe noch nicht ganz abgeschworen hatte; dies ging selbst ihm eindeutig zu weit. „Ihhh, das ist ja ekelig!“ sagte er laut und erfreute sich an den erschrockenen Gesichtern der Liebenden.

‚Genug des Unfugs’, rügte er sich selbst. ‚Ich habe was zu tun’. Wieder einmal brach er in ein Gebäude ein. Dies war dank der Magie nicht schwierig. Ein kleines Wedeln mit seinem Zauberstab, ein kurzer Spruch und schon war die Tür unverschlossen.
Er stieg die Domtreppe hinauf, bis ganz nach oben, und verstecke den magischen Stein in einer Ecke zwischen 2 Balken, wo ihn niemand so schnell finden würde. Dann sprach er den Zauberspruch. Er hoffte, dass er ihn richtig behalten hatte. Der Meister hatte ihm zwar erlaubt, das Buch mit in seine Kammer zu nehmen, um alles noch mal nachzulesen, aber bisher hatte er das nicht getan. Doch der Stein fing wie erwartet an zu pulsieren und Matreus war zufrieden.

Er sah kurz aus dem Fenster des Turmes auf die viel befahrene Strasse auf der andern Seite der Trave und musste grinsen.
‚Ohne ihre Auto sind die Oberweltler total verloren. Dabei ist das nur ein Haufen Blech. Ein besseres Werkzeug. Ohne das könnten sie nirgends wirklich hinkommen und würden den ganzen Tag zu Hause sitzen.’ Ein unangenehmer Gedanke schlich sich in seinen Kopf. War das nicht genau das, was er für Zanrelot war? Ein Werkzeug? Zanrelot kam auch nirgendwo hin und mußte immer zu Hause hocken. Nur durch Matreus war er in der Lage, irgendwas in der Oberwelt auszurichten.
‚Nein. Das kann man nicht vergleichen!’, sagte sich Matreus selbst. Aber ein kleiner Zweifel blieb doch hängen. Wie so oft, wenn er über sein Leben nachdachte.

„Es wird Zeit, zurückzugehen“ sagte er laut, in der Hoffnung, dass der Klang seiner eigenen Stimme diesen Gedanken beiseite schieben könnte.

Er stieg die Treppen wieder herab. Unten angekommen drehte er sich, um sich in die Unterwelt zu transferieren. Ein seltsames Schwindelgefühl überkam ihn. Auch dauerte der Transfer sehr viel länger als normal. Als er schließlich in der Unterwelt ankam, fühlte er sich plötzlich sehr schwach und er musste sich erstmal einen Moment auf den Boden setzten.
‚Hui, was ist das denn? So was ist mir ja noch nie passiert’. Als der Schwindel langsam nachließ, stand er wieder auf und machte sich auf den Weg in die Zentrale.


8

Karo war schon im Klassenraum und saß an ihrem Platz, als Pinkas in letzter Minute durch die Tür kam. Spöttisch blicke sie ihn an.
„Na, da fährst du ein Mal nicht mit mir zusammen zur Schule und schon kommst du zu spät, oder was?“

Pinkas bedachte sie mit einem genervten Blick.
„Ha ha! Julia hat uns nicht rechtzeitig geweckt, weil ihr Funkwecker sich irgendwie heute früh abgeschaltet hat.“

„Ach, jetzt ist meine Mutter plötzlich schuld! Vielleicht wäre es mit 13 Jahren mal an der Zeit, sich einen eigenen Wecker zuzulegen und nicht darauf zu warten, geweckt zu werden. Du bist doch kein Kleinkind mehr!“

Larissa unterbrach den Streit, bevor Pinkas noch etwas erwidern konnte.
„Ähm.. das ist komisch. Irgendwie erzählen die anderen auch, dass irgendwelche Funkwecker heute Morgen nicht gehen. Und auch Fernsehen. Und dein Handy geht doch auch seit gestern Abend schon nicht mehr. Vielleicht liegt das gar nicht am Handynetz.“

Pinkas und Karo sahen sich stillschweigend an. Ihnen beiden war klar, dass sie beide das Gleiche dachten. Zanrelot. Zanrelot versuchte gerne, seine Anschläge auf die Oberwelt zu tarnen, indem er es aussehen ließ wie technisches Versagen, oder eine geophysikalische Anomalie oder ähnliches.

Doch leider kamen die beiden nicht mehr dazu, darüber zu sprechen, da in diesem Moment der Mathelehrer zu Tür herein kam. Erschöpft schmiss er seine Tasche aufs Pult.
„Entschuldigt die Verspätung. Aber meine Fernbedienung für die Garage hat heute Morgen den Geist aufgegeben und das Ersatzgerät liegt dummerweise im Auto. So mußte ich heute mal mit dem Fahrrad kommen.“

Wieder wechselten Pinkas und Karo einen stillen Blick. Nein, so viele zufällige Ausfälle konnte es nicht geben.


9

Matreus betrat sie Zentrale. „Meister, der Stein ist versteckt und aktiviert.“

„Prima, das scheint zu funktionieren“, murmelte der Meister ohne seinen Blick vom Monitor abzuwenden oder seinen Helfer auch nur ansatzweise zu beachten.

Matreus war es ja gewöhnt, des Öfteren nicht sonderlich beachtet zu werden. Aber dass er völlig ignoriert wurde, kam selten vor. Verwirrt kratze er sich die Hand und wartete einen Moment. Hatte er das eben falsch verstanden? Funktionierte der Stein doch nicht, weil er wieder einmal versagt hatte? Nervös wandte er sich an Zanrelot.
„Meister, habe ich alles richtig gemacht? Funktioniert alles so, wie ihr es wünscht?“

Doch wieder antwortet der ältere Magier nicht. Er sah nur auf und blickte in Richtung Eingang. Schließlich schaltete er die Monitore um und ließ sich alle wichtigen Gänge und Räume der Unterwelt zeigen.
„Wo steckt der Bursche?“, murmelte er gereizt. Wiederum sah er sich in der Zentrale um und richtete sich auf. Er sah auf die Stelle, an der Matreus üblicherweise stand. Links neben dem Computerterminal. Sein Gesicht nahm einen verärgerten Ausdruck an.

„Er wird doch nicht etwa den Schutzzauber vergessen haben, als er den Stein aktiviert hat?“

Matreus schien es, als bliebe sein Herz stehen. Siedend heiß fiel es ihm ein. Wie oft hatte der Meister ihm versucht einzubläuen, dass bestimmte Artefakte nur aktiviert werden dürfen, wenn man sich selbst mit einem Schutzzauber umgab? Ansonsten würde das Artefakt die Magie und die Körperkraft desjenigen, der ihn aktivierte, mit einfangen. Beschämt ließ er den Kopf hängen. Er hatte es tatsächlich vergessen. Abgelenkt von dem Liebespärchen und seinen anderen Gedanken, hatte er es vergessen und war dann auch noch längere Zeit im Einflussbereich des aktivierten Steines geblieben. Wie sehr hatte er versagt.

„Matreus!“, sprach Zanrelot ihn an. „Ich spüre deine Präsenz. Auch wenn ich dich nicht sehen und hören kann. Es grenzt nahezu an ein Wunder, dass du noch genug Kraft hattest ,überhaupt wieder runter zu kommen.“ Er schüttelte resigniert den Kopf. „Nun nimm deinen Zauberstab und führe einen einfachen Zauber aus. Ein paar Seifenblasen oder so. Dafür wird die Kraft nun auch noch reichen. So bin ich mir zumindest sicher, dass du hier neben mir bist.“

In gewisser Weise war Matreus froh, nun unsichtbar zu sein. So konnte sein Meister wenigstens nicht sehen, wie rot vor Scham sein Gesicht war.
Er nahm seinen Stab und schaffte es, 3 jämmerliche Seifenblasen herzuzaubern.
Doch sie reichten aus.

„Eines Tages wirst du dich noch um Kopf und Kragen zaubern. Wenn du es nicht grade schon getan hast. Du bleibst, wo du bist. Beweg dich nicht von der Stelle! Und tu diesmal, was ich dir sage!“

Der Herrscher der Finsternis verließ die Zentrale und kam kurz darauf mit einem verzierten Stab wieder. Er zog einen magischen Kreis um seinen Helfer und sprach leise einige Worte.
„So, und in diesem Kreis bleibst du! Der schützt dich. Und so kann ich zumindest deine Silhouette sehen. Und jetzt werde ich das Buch holen um nachzuschauen, ob es eine Möglichkeit gibt ,dich wieder zurückzuholen. Mir fällt nämlich keine ein! Ich nehme mal an, das Buch ist immer noch unberührt in deiner Kammer? Nun gut, dann werde ich es selbst holen.“

‚Oh nein’, dachte Matreus. ‚Jetzt geht er auch noch in meine Kammer. Ich hoffe, dort ist es nicht zu chaotisch.’ Seine Kammer war das einzige Zugeständnis an Privatsphäre, welches Zanrelot seinem Diener machte. Er hatte ihm diesen Raum als Kind zugewiesen und ihn seitdem noch nicht wieder betreten. Daher nahm es Matreus nicht so genau mit der Ordnung und Sauberkeit dort.
‚Matreus, Du bist ein Idiot’, rügte er sich nochmals selber. ‚Du hast jetzt echt grade größere Probleme als die Unordnung in deiner Kammer!’


10

Zanrelot war in diesem hinteren Teil der Unterwelt seit Langem nicht mehr gewesen. Eigentlich seit Jona nicht mehr an seiner Seite war. Er hatte diesen Bereich gemieden, genauso wie er es vermied, zu oft an seinen Sohn zu denken. Er verlangsame seine Schritte als er sich der Tür zu Jonas Kammer näherte. Sollte er einmal hineinsehen? Konnte er den Anblick des verstaubten Raumes ertragen?
Zögerlich blieb er vor der Tür stehen.
„Mache ich mir nicht grade schon genug Sorgen um Matreus? Muss ich da auch noch an Jona denken?“  murmelte er. Im selben Moment hielt er inne und wiederholte das eben Gesprochene nochmal in Gedanken.
‚Ich mache mir Sorgen um Matreus?!’ Verwirrt schüttelte er den Kopf. ‚Nein, ich mache mir Sorgen darüber, dass Matreus mir nicht mehr zu Diensten sein konnte. Schließlich kann ich ohne ihn nicht meine Pläne in der Oberwelt ausführen!’ Er nickt. ‚Genau so muss es heißen!’ redete er sich ein.

Immer noch stand er im Flur herum. Neugierig war er schon, so öffnete er schließlich die Tür und trat ein, obwohl er eigentlich keine Zeit dazu hatte.

Entgegen seiner Befürchtungen war der Raum nicht voller Spinnweben und Staub. Jemand schien sich die Mühe zu machen, hier Ordnung zuhalten. Der Meister runzelte die Stirn. Den Zanreloten war es verboten,  private Kammern zu betreten. Somit musste Matreus diesen Raum anscheinend sauber halten.

Verwirrt über diese merkwürdige Erkenntnis sah er sich um. Der Raum war karg eingerichtet und es gab kaum persönlichen Sachen. Lediglich ein altes Buch lag auf dem Tisch. Er öffnete es und las die Inschrift „Meinem Sohn zu seinem 15. Geburtstag. Mit dir an meiner Seite ist alles möglich!“

Eine Welle von Erinnerungen schwappte über Zanrelot zusammen. An den 15. Geburtstag seines Sohnes, als er ihm die ersten wirklich wichtigen Zauber beibrachte und ihm sein eigenes Zauberbuch schenkte. Das war ein nahezu glücklicher Tag in seinem Leben. Doch gleich darauf holte ihn die Erinnerung an einen der schrecklichsten Tage ein: Der Tag an dem er erfuhr, dass Jona ihn verlassen hatte.


11

Ca. 400 Jahre zuvor

Matreus wachte schweißgebadet auf. Irgendwie hatte er schlecht geträumt. Wie so oft. Manchmal wünschte er sich, dass er ebenfalls keinen Schlaf brauchte, wie der Meister. Dann hätten auch die schlechten Träume ein Ende. Doch er und Jona brauchten noch etwas Schlaf. Zumindest einige Stunden ab und an.

Müde drehte er sich um, um auf die Uhr zu sehen. Hier unten gab es zwar keine Tag- und Nacht-Einteilung, weil sie einfach unnötig war, wenn es keine Sonne gab, aber da sie ja manchmal an die Oberfläche gingen, war es ganz nützlich zu wissen, wie spät es war.

Doch irgendetwas behinderte Matreus Blick. Jemand hatte einen Zettel vor dem Wecker platziert. Sofort war er hellwach. Er hatte auf Anhieb Jonas Schrift erkannt.
Wieso legte sein Cousin ihm des Nachts einen Zettel auf den Tisch?

Verwundert nahm er den Brief zur Hand und las ihn. Von Wort zu Wort wurde sein Erstaunen größer und schlug schließlich in Entsetzen um. Jona hatte die Unterwelt verlassen. Er wollte seinem Vater den Rücken kehren.

Zitternd faltete er den Brief zusammen. Wie in Trance stopfte er ihn unter seine Matratze. Dann machte er sich frisch und zog sich an.

Unschlüssig stand er vor der Tür. Was sollte er nun tun? Wie sollte er nun dem Meister unter die Augen treten? Hätte er bereits davon erfahren, hätte er bestimmt schon nach Matreus gebrüllt. So hatte er nun die unangenehme Aufgabe, ihm mitzuteilen, dass Jona gegangen war.

Matreus zitterten die Knie, als er schließlich in den Flur hinaus trat. Einen kurzen Moment lang dachte er darüber nach, sich einfach zu verstecken und darauf zu warten, dass Zanrelot es selbst herausfand. Aber er würde lange warten müssen, bis dieser sich so weit beruhigt hatte, dass Matreus sich wieder zu ihm getraut hätte.

‚Aber vielleicht würde er dann denken, dass ich auch gegangen bin? Nein, er würde mich in Stücke reißen, wenn ich danach wieder hervorkäme.’

Zutiefst verängstigt betrat Matreus schließlich die Zentrale und wartete auf seinen Meister. Dabei bemerkte er einen weiteren Zettel, der auf einem der Bücher auf dem Tisch lag. Vielleicht würde der Meister ihn ja zuerst lesen. So würde ihm Matreus nicht die schlechte Nachricht überbringen müssen.

Kurz darauf betrat Zanrelot die Zentrale eiligen Schrittes. Er hatte für heute Pläne. Große Pläne. Endlich hatte er wieder einen guten Plan, von dem er sich versprach, dass er ihm so viel Macht einbrachte, dass er an die Oberfläche konnte. Und sein Sohn würde dabei eine wichtige Rolle spielen.

Aprubt bleib er stehen. Wieso war Jona noch nicht auf. Und warum stand Matreus dort wie ein Häufchen Elend? Zitternd und nach Angstschweiß riechend? Hatte der Bengel wieder was ausgefressen? Zanrelot hielt nicht viel von Matreus. Für ihn war er nur ein Diener, ein „Spielkamerad“ für seinen Sohn, damit dieser sich hier nicht so einsam fühlte. Doch mit seiner Begabung bezüglich Magie war es nicht weit her. Es gab nur eine Sache, die ihm Zanrelot respektvoll zugestand: Nie versuchte er, irgendwelche Fehler, die er gemacht hatte, zu verheimlichen oder anderen in die Schuhe zu schieben. Lieber gestand er sie und wurde dafür bestraft. Doch anlügen würde Matreus seinen Meister nie.

„Nun Matreus, hast du mir etwas zu berichten? Und wo ist Jona?“ fragte er streng.

Matreus schrumpfte in sich zusammen, als Zanrelot ihn ansprach. Wie sollte er ihm das nur erklären. Seine Kehle war wie zugeschnürt und er glaubte, keinen Ton heraus zu bringen.
„Meister, ich weiß nicht.. ich kann mir das nicht…“, stotterte er los. Er traute sich nicht, aufzusehen. Er würde noch früh genug in die Augen seines Meisters sehen müssen. Spätestens, wenn dieser ihn verfluchte und in irgendetwas Grauenvolles verwandelte.
Er setzte noch mal neu an und brachte nur ein schwaches „Er ist fort“ heraus.

Zanrelot spürte eine Welle von Enttäuschung und Wut über ihn hinweg rollen.
„Fort? Was meinst du mit fort?“ Er stürzte auf seien Diener zu, packte ihn am Kragen und presste ihn gegen die Wand. Seine Augen funkelten gefährlich grün.
„Was hast du mit ihm gemacht? Nun sag schon!“

Der junge Mann röchelte, als er keine Luft mehr bekam. Der Griff an seinem Hals wurde etwas gelöst. Panisch sah er in die grünen Augen, die ihn eindringlich ansahen.
„Ich nichts“, beteuerte er immer noch nach Luft röchelnd. „Dort ist ein Brief“. Er deutet mit einem schwachen Kopfnicken auf den Tisch.

Als Zanrelot ihn losließ, landete er unsanft auf dem Boden. Er beobachtete, wie dieser den Brief zur Hand nahm und ihn las. 2 Mal, 3 Mal schien er ihn zu lesen, bevor er sich wieder dem am Boden hockenden jungen Mann zuwandte. Erschrocken sprang dieser auf, obwohl ihm dabei schwindelig wurde.

Zanrelots Augen glühten giftgrün und noch nie zuvor hatte Matreus jemals so eine Angst vor ihm gehabt.

„Du wirst nach oben gehen und mir meinen Sohn zurück bringen. Und wage es nicht, ohne ihn zurückzukommen. Oder ich vergesse mich!“


9 Tage hatte Zanrelot nun nichts mehr von Matreus oder seinem Sohn gehört. Ab und an hatte er zumindest Matreus mit der Glaskugel ausfindig machen können. Noch immer auf der Suche nach Jona durch die Gegend streifend. Doch seit 2 Tagen hatte er auch ihn nicht mehr finden können. Er musste zu weit weg von Lübecks Zentrum sein. Oben regnete es in Strömen und ein schweres Gewitter tobte seit Stunden über der Gegend.

Zweifel machten sich in Zanrelot breit. Matreus hatte sich doch nicht etwa auch von ihm abgewandt und ließ ihn hier unten allein? Nein, das würde er niemals wagen!
Oder doch? Wenn er nun Jona gefunden hatte und sich ihm anschloss? Im Kampf gegen den eigenen Vater und Oheim?

Doch plötzlich wurde etwas in die Zentrale transferiert. Zanrelot sah es nur aus den Augenwinkeln und war sich zunächst nicht sicher, WAS er dort sah. Doch schließlich erkannte er seinen Neffen in dem Haufen schmutziger, zerschlissener, triefend nasser Kleidung. Anscheinend völlig erschöpft lag er bewusstlos auf dem Boden der Plattform. Seine Magie musste ihn automatisch zurück in die Unterwelt transferiert haben, als er bewusstlos wurde. Zanrelot füllte einen Becher Elexier ab und kniete sich auf den Boden. Matreus erwachte wieder und begann sofort zu zittern, als er seinen Meister erblickte.
Zitterte er weil er fror, oder weil er so verängstigt war? Der Magier war sich nicht sicher. Schließlich begann der junge Mann, leise zu schluchzen.
„Bitte Meister… bestraft mich nicht.. Ich konnte.. Jona..nicht finden..“ Wieder fiel er in die Bewußtlosigkeit.

Zanrelot schüttelte den Kopf. Wie hatte er nur an Matreus Loyalität zweifeln können?


12

„Zapperlot noch mal“, rief Zanrelot sich zurecht. „Nun ist es aber genug mit diesen Erinnerungen!“ Er sah sich noch mal kurz in Jonas alter Kammer um und verließ dann den Raum. Die nächste Tür gehörte zu Matreus Kammer. Unterschiedlicher hätte der Anblick nicht sein können. Hier häuften sich Bücher und Notizen, Kleidung und Staub.

Zunächst hatte er geglaubt, er würde Stunden in diesem Chaos nach dem Buch suchen müssen, doch dann fiel ihm auf, dass der rechte Teil des Tisches frei geräumt war und nur an der Kante einige sorgfältig gestapelte Bücher lagen.
Erfreut bemerkte er, dass dies die Bücher waren, die ihm gehörten und die er Matreus nur geliehen hatte. Anscheinend hatte sein Ziehsohn doch soviel Respekt vor Zanrelots Eigentum, dass er diese Bücher mit mehr Sorgfalt behandelte.
Das gesuchte Buch lag gleich obenauf und schon auf dem Weg zurück zur Zentrale blätterte er in den Seiten. Doch was er dort fand, gefiel ihm nicht.

„Wir brauchen den Stein, Matreus. Wir brauchen den Stein!“. Er sah zum magischen Kreis und stelle fest, dass der Angesprochene sich anscheinend inzwischen auf den Boden gesetzt hatte.
„Aber wie sollen wir nun an den Stein rankommen, wo wir beide nicht nach oben können?“ Er schaltete kurz seine Monitore um und stellte fest, dass der Stein zumindest wie gewünscht seine Aufgabe erledigte. „Ich glaube selbst nicht, was ich jetzt sage, aber: Wir brauchen die Wächter. Und wie ich die Kinder kenne, werden sie nicht lange auf sich warten lassen.


13

Gleich nach Ende der letzten Stunde machten sich Karo und Pinkas gemeinsam auf den Heimweg. Sie hatten es sehr eilig und waren froh, als Leonies Fahrrad schon neben dem Schuppen stand, als sie an der Mühle ankamen.
„Leonie?“ rief Karo, sobald sie die Tür zum Haus geöffnet hatte.

„Karo!“, wies ihre Mutter sie zurecht. „Nun brüll doch nicht das ganze Haus zusammen. Leonie ist in der Scheune, soweit ich weiß.

Sie drehte um und lief in den Garten. Pinkas, der ihr ins Haus gefolgt war, machte ebenfalls Anstalten zur Scheune zu gehen, als er von Julia aufgehalten wurde.
„Mein lieber Freund, wo willst du denn hin? Soweit ich weiß hast du immer noch Hausarrest. Also ab nach oben und setz dich an die Hausaufgaben. Und Essen ist in 30 Minuten fertig! Dann kannst du wieder runter kommen.“

Pinkas wollte grade widersprechen, doch Julia unterstrich ihre Anweisung noch mal mit einem ins Obergeschoß deutenden Zeigefinger. Murrend ging er die Treppe hinauf um schmiss seinen Schulrucksack auf das Bett.
„Mann, wieso ist Otti nicht da. Der hätte das mit Paps bestimmt ganz toll gedeichselt. Und jetzt hat Zanrelot auch noch irgendetwas gestartet. Und wir sind nur zu dritt!“

Schlecht gelaunt holte er den Rucksack vom Bett und nahm seine Schulhefte heraus. Na toll, nicht nur, dass sie Mathe aufhatten, er sollte auch noch eine Strafarbeit abgeben zu dem Thema: ‚Warum ist es unartig seinen Lehrer auf der Toilette einzusperren?’ Dabei konnte er sich gar nicht erklären, wieso man den Schlüssel zur Lehrertoilette in seiner Tasche gefunden hatte.

Er überlegte kurz. ‚Ob es wohl reichen würde zu schreiben: Weil ich nicht Matreus bin?’ Er musste leise kichern. Die Gesichter würde er gerne mal sehen, wenn sie das lasen. Sie hatten doch keine Ahnung von Matreus und Zanrelot. Pinkas fiel es wie Schuppen von den Augen. ‚Natürlich! Matreus muss das gewesen sein. Und bestimmt auch das mit Karos MP3 Player. Der wollte uns bestimmt mal wieder ärgern. Aber warte, diesmal bist du zu weit gegangen!’


14

Das Mittagessen verlief ruhig und relativ entspannt. Leo und Karo taten so, als wäre nichts und Pinkas grummelte vor sich hin. Aber da er ja Hausarrest hatte, bezog Julia seine schlechte Laune darauf.
„Pinkas, machst du bitte noch die Küche? Du hast heute zwar keinen Küchendienst, aber wenn du eh zu Hause bist, kannst du den anderen ja auch Arbeit abnehmen.“
Amüsiert bemerkte sie den bösen Blick in Pinkas Gesicht. „Pinkas, Strafe muss sein. Das hast du dir ganz allein eingebrockt.“

„Ja, von wegen!“ antwortete er genervt und begann, die Teller zusammenzustellen. Doch dann hörte er erfreut, wie Julia sich verabschiedete.

„Ich habe da noch einen Termin mit meinem Verleger. Ich bin so in 2 Stunden zurück. Sascha kommt heute Abend erst. Er hat da noch einen Geschäftstermin.“

Kaum war Julia aus dem Haus, setzten sich die Kinder an den Tisch.
„Also ich glaube, dass Zanrelot dahinter steckt. Diese ganzen Funk-Ausfälle sind doch nicht normal!“ stellte Karo fest

„Ja, wir haben Glück, dass wir noch kein W-Lan haben, sonst hätten wir gar keine Verbindung mehr ins Internet. Der Router von Tom hat auch den Geist aufgegeben!“ fügte Pinkas hinzu. „Außerdem glaube ich, dass Matreus uns die ganzen Streiche gespielt hat. Ist doch komisch, dass das genau jetzt passiert, wo wir nur noch zu dritt sind, weil Otti auf Schüleraustausch ist.“

„Also Pinkas, erst einen Lehrer auf dem Klo einsperren und dann das auch noch anderen in die Schuhe schieben zu wollen, ist jawohl echt das Letzte!“, empörte sich Karo. „Meinst du nicht, dass Matreus Besseres zu Tun hat?“

„Nein, das meine ich nicht. Aber dass du hier wieder eine auf Weltverbesserer machen würdest, war mir ja eh klar. Versuch du nicht auch noch, an mir rumzuerziehen!“

„HEY!“, brüllte Leo so laut dazwischen, dass es den anderen beiden die Sprache verschlag. „Nun kommt mal wieder runter. Das ist überhaupt das Stichwort! Wir müssen nach unten um nachzuforschen, was wirklich los ist.“ Manchmal fragte sie sich, wer denn hier die Kinder waren? Sie war zwar erst 8, aber oftmals kam sie sich reifer vor als ihre beiden Geschwister in der angehenden Pubertät. Sie stand auf und ging zum Schleusenrad. „Also was ist? Kommt ihr?“


15

Zufrieden blickte Zanrelot auf den Monitor, mit dem er derzeit die Tür zur Schleuse überwachte. Alles lief wie geplant. Naja, nicht ganz. Aber zumindest nach Plan B. Plan A hatte er ja leider wegen Matreus Missgeschick aufgeben müssen.
„Matreus, die Wächter sind unterwegs.“ Als er sah, dass sein Helfer aufstand, schüttelte er den Kopf. „Sie können dich eh nicht sehen. Also verhalte dich ruhig und versuche, nicht zu zaubern! Und bleib in dem Kreis!“

Wenige Minuten später hörte er trippelnde, leise Schritte im Flur. Er hatte die Zanreloten angewiesen, die Wächter unbehelligt in die Zentrale kommen zu lassen. Erst dort sollte seine Falle zuschnappen.

„Willkommen meine jungen Freunde“, rief er ihnen entgegen.

Karo runzelte die Stirn und kam aus ihrem Versteck. In der Hand hielt sie ihr Amulett – kampfbereit. Auch Pinkas kam mit seinem Laserpointer in der Hand hervor. Nur Leonie hatte die Hände in den Taschen. Ihr Handschuh war auch eher zum Heilen da als zum Kämpfen.

„Freunde? Ich wüsste nicht seit wann wir Freunde sind!“ sagte Karo aufgebracht.
„Ja genau!“, stimmte Pinkas zu. „ich bin doch nicht mit jedem befreundet!“

Zanrelot schüttelte missbilligend den Kopf. „Findet ihr das nicht ein bisschen unhöflich, erst in mein Reich einzudringen und mich dann auch noch zu beleidigen? Haben euch eure Eltern denn keine Manieren beigebracht?“

„Wir haben Manieren! Im Gegensatz zu Ihrem Ziehsohn! Dem haben Sie anscheinend keine beigebracht. Einfach nach oben kommen und uns ins Leben zu pfuschen!“, antwortete Pinkas.

„Seid ihr denn immer noch erbost über die kleinen Streiche, die er euch in meinem Namen spielte? Seid doch nicht so furchtbar nachtragend!“ Der Herrscher der Finsternis drehte sich schwungvoll und ließ dabei seinen Mandel weit um sich schwingen. Er mochte diese Bewegung und fand, dass er damit sehr herrschaftlich wirkte. Er grinste ein wenig, als er sich wieder zu den Wächtern umwandte. „Aber nun genug der Plauderei. Ich nehme an, es gibt einen Grund, weshalb ihr mich hier unten besuchen kommt?“

Leonie sprach schnell, bevor Pinkas und Karo sich einmischen konnten. So langsam gingen ihr die beiden echt auf den Wecker mit ihrer ständigen Streiterei.
„Ja, den haben wir. Oben sind überall die Funksignale gestört. Und wir glauben, dass Sie schuld daran sind!“

„Nun, kleine Wächterin“ begann Zanrelot. „das könnte durchaus sein, dass ich damit etwas zu tun habe. Ich würde es sogar unbeschränkt bestätigen.“ Als er sah, wie Pinkas schon wieder zu einer Erwiderung ansetzte, hob er anwehrend die Hand. „Laß mich ausreden! Jemanden zu unterbrechen ist ebenfalls unhöflich. Wo waren wir? Ach ja. Also ich bin tatsächlich dafür verantwortlich. Ich und ein magischer Stein, welchen ich aktiviert habe.“

„Dann stellen sie ihn ab!“ rief Karo empört.

Böse sah der Meister sie an.
„Das mit dem Unterbrechen gilt auch für dich, Karoline Lehnhoff!“ sagte er schroff. Zumindest schien sie jetzt erstmal zu schweigen.

„Also ich gebe es ja ungern zu, aber der Stein funktioniert nicht ganz so, wie er sollte. Er hat einige Nebenwirkungen, die mir nicht bekannt waren. Unglücklicherweise bin ich ja nicht in der Lage, nach oben zu gehen und ihn zu deaktivieren. Daher brauche ich eure Hilfe.“

„Unsere Hilfe?“ Pinkas schüttelte trotzig den kopf. „Darauf können sie warten bis zum Sanktnimmerleinstag!“

„Pinkas!“ Leonie knuffte ihm den Arm. „Halt doch einfach mal die Klappe! Wenn er nicht richtig funktioniert, kann er uns vielleicht allen richtig gefährlich werden. Und Zanrelot hat jawohl Recht. Er kann nicht hoch.“

Pinkas sah den Magier misstrauisch an. „Ach, und das sollen wir ihm glauben? Warum schickt er nicht einfach Matreus hoch? Nee Leo, das stinkt!“

Zanrelot hatte schon damit gerechnet, dass irgendwer auf Matreus zu sprechen kam.
Doch er würde niemals Matreus Versagen vor den Wächtern breittreten. Damit würde er ihn vor den Kindern bloßstellen und sie würden ihn nie wieder ernst nehmen.
Das galt ebenfalls für die kleinen Schikanen, die er ihm ab und zu bereitete. Manchmal genoss er es, den blonden jungen Mann in seine ursprüngliche Rolle als Diener zu drängen und sich von ihm beispielsweise die Schuhe oder den Ring polieren zu lassen. Matreus selbst schien das nicht aufzufallen, weil diese Arbeiten von jeher zu seinem Aufgabengebiet gehörten.

„Matreus ist derzeit indisponiert.“

„Ach, und da sollen wir nun herhalten? Und wieso sollen wir Ihnen glauben?“ Karo hielt ihr Amulett immer noch kampfbereit in der Hand.

Der Meister wurde langsam ungehalten. Was bildete sich diese ungezogene Bande eigentlich ein? Gerade, als er überlegte, sie einfach alle ins Verlies zu sperren, ergriff Leonie wieder das Wort. Die kleine Wächterin schien jetzt richtig böse zu sein.

„Mein Gott, nun lasst ihn doch mal reden. Ihr geht mir echt auf den Keks!“

Bisher hatte der Meister nicht viel von dem kleinen Mädchen gehalten. Ein 8jähriges kleines Ding. Was sollte das schon ausrichten. Aber er musste immer wieder feststellen, dass diese kleine Wächterin wirklich intelligent war und sehr reif.

„Wenigstens hat einer von euch Dreien ein bisschen Intelligenz. Zunächst zu deiner Frage, Karo. Warum sollt ihr mir glauben. Nun ganz einfach: ich habe euch noch nie angelogen. 2. Ich bin ein ehrbarer Magier. Und wenn ich etwas verspreche, halte ich es auch ein. Ich verspreche Euch hiermit, dass ich den Stein nicht wieder einsetze, wenn ich ihn deaktiviert habe. Warum ihr mir glauben solltet, dass ich ein ehrbarer Magier bin wolltest du sicher fragen, Karo?“

Er sah das Mädchen an, das grade schon wieder aufbrausen wollte. Doch nun nickte sie nur still.

„Nun, dazu muss ich etwas weiter ausholen. Ihr wisst, dass ich nicht an die Oberfläche kann. Aber meine Magie kann nach oben. Durch eine Berührung meines Fingernagels auf dem Monitor könnte ich zum Beispiel alle Ampeln auf der Kreuzung auf Grün schalten. Was das für einen herrlichen Unfall gäbe! Und wie schade es doch wäre, wenn der gute Sascha Sörensen mitten drin wäre.“ Den erschrockenen Gesichtern nach zu urteilen, konnte ihm jeder der 3 Wächter folgen.
„Aber habe ich sowas je getan? Nein, habe ich nicht. Soetwas ist zu simpel. Zu Langweilig. Und bringt keinen Erfolg. Ich will nicht euren Vater töten, das bring mir nichts an Macht.“

Er wartete einen Moment, damit die Kinder diese Information verdauen konnten.

„Also mein Vorschlag ist folgender: Pinkas und Karo holen den Stein hierher. Eure beiden Löser werden dafür benötigt. Die kleine Leonie bleibt so lange hier! Keine Angst", sagte er ruhig, als er ihren erschrockenen Blick sah, „ich werde dir nichts tun und auch kein anderer. Aber leider brauche ich ein Faustpfand.“


16

Es dämmerte bereits draußen, als Pinkas und Karo beim Dom ankamen.

„Mir ist absolut nicht wohl bei der ganzen Geschichte!“, meinte Karo zum hundertsten Mal. „Leo bei Zanrelot in der Unterwelt zu lassen. Was für eine blöde Idee!“

„Karo, jetzt hör doch mal auf. Ich bin auch nicht begeistert davon, aber gegen Zanrelot und seine 10 Zanreloten hätten wir wohl kaum was machen können. Uns blieb ja keine Wahl, weil er uns in eine Falle gelockt hat.“ Pinkas lehnte sein Rad gegen die Wand und ging zur Eingangstür des Doms. Noch war der Dom offen, die Besichtigungszeit war noch nicht vorüber. Aber um ungesehen in die Domtürme zu kommen, brauchten sie etwas Glück. Er sah über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Karo ihm folge. Leise schlichen sie hinein und stellten fest, dass sich dort nur 2 Leute aufhielten, am anderen Ende des Gebäudes. Erleichtert seufzte Pinkas. Die Tür zum Domturm ließ sich mit seinem Löser leicht öffnen und die beiden Wächter kamen ungesehen hinauf.

„Na toll“, sagte Karo als sie ganz oben angekommen waren. „Hier gibt es so viele Nischen und Ecken; der Stein könnte überall sein!“
Frustriert fing sie an zu suchen. Auch Pinkas sah sich um. „Oh Mann, das kann ja Stunden dauern! Warum hat Matreus ihm denn nicht erzählt, wo genau er den Stein versteckt hat!“

Draußen wurde es immer dunkler und oben im Turm konnte man kaum noch die Hand vor Augen sehen. „Pinkas“, meinte Karo verzweifelt. „Wir können hier nichts mehr sehen. Das hat doch keinen Zweck. Aber wir können ohne den Stein auch nicht wieder in die Unterwelt. Ein Mist ist das!“ Sie setzte sich auf den Boden und zog die Knie an den Körper. Sie musste an ihre kleine Schwester denken, die als Faustpfand bei Zanrelot bleiben musste. Welche Angst musste sie haben dort ganz allein in der Unterwelt?

Pinkas setzte sich zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. „Karo, es wird schon alles wieder gut.“ Mehr fiel ihm jetzt grade nicht ein. Karo lehnte ihren Kof an seine Schulter und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es war eine Schnapsidee gewesen, sich auf den Handel einzulassen. Lieber hätten sie alle zusammen im Verlies versauern sollen.
Sie saßen einige Zeit lang nur so da. Inzwischen war es draußen stockfinster. Pinkas versuchte, sich anders hinzusetzen. So langsam schlief sein Bein ein, aber er wollte nicht aufstehen, weil Karo sich immer noch an ihn lehnte.
Doch Moment, was war das? Pinkas streckte sich noch mal und sah ein bisschen nach rechts. Hatte er da nicht grade einen schwachen grünen Lichtschimmer gesehen? Vorsichtig stand er auf um Karo nicht zu erschrecken.
„Was ist denn los?“, fragte sie mit zittriger Stimme.

Doch Pinkas antwortete nicht. Vorsichtig stolperte er durch die Dachkammer. Und ja, schließlich fand er die Quelle des Lichts. Dort zwischen zwei Dachbalken war der Stein eingeklemmt. Erst im Dunkeln hatte er ihn sehen können, da er erst jetzt das pulsierende Licht wahrnehmen konnte, das der Stein verbreitete.

„Karo, ich habe den Stein gefunden“, rief er freudig. „Jetzt aber nichts wie raus hier. Aber Vorsicht, es ist stockdunkel.“


17

Sie waren froh, dass Julia und Sascha noch nicht da waren, als sie zu Hause ankamen. Anscheinend hatten beide Termine länger gedauert. Karo ging zum Kühlschrank und holte sich was zu trinken.
„So“ meinte sie schließlich. „Jetzt zeig mal her, den ollen Stein, der hier so viel Ärger macht.“
Pinkas nahm den Stein aus der Jackentasche und legte ihn auf den Tisch. Das grünliche Glühen war kaum mehr zu sehen.
„Hmm..“ meine Karo nachdenklich. „Weiß du was? Irgendwie sieht der so aus wie der Dekostein, den Mama mir neulich mitgebracht hat. Warte, ich hole den mal schnell.“

Karo rannte die Treppe hinauf. Ja, der Stein auf ihrer Fensterbank hatte wirklich starke Ähnlichkeit mit dem Stein in der Küche.
Wieder unten angekommen legte sie beide Steine nebeneinander. „Bis auf das schwache pulsieren sehen sie fast gleich aus!“, meint auch Pinkas überrascht. „Hey, wie wäre es denn, wenn wir versuchen, Zanrelot den Dekostein unterzuschieben. Zumindest so lange, bis wir Leo wiederhaben?“ Aufgeregt sah er sie an. Der Plan war einfach genial!

Auch Karo fand die Idee prima. „Ja, wir nehmen einfach beide Steine mit. Wenn Zanrelot ihn nicht direkt in die Hand bekommt, merkt er vielleicht nicht, dass es der Falsche ist. Und wir haben genug Zeit, von dort unten zu verschwinden!“

In diesem Moment fiel von draußen Licht in die spärlich erleuchtete Küche. „Oh, Sascha kommt. Wir sagen ihm, dass wir mit Leo in der Scheune übernachten. Dann wird er bestimmt keinen Aufstand machen wegen deines Hausarrests“, wispert Karo. „Und dann verschwinden wir schnell durch die Schleuse.“


18

Leo fühlte sich langsam besser. Zunächst hatte sie große Angst gehabt, als Zanrelot beschloss, dass sie in der Unterwelt bleiben sollte. Auch Pinkas und Karo wollten das nicht, aber der böse Magier ließ ihnen keine Wahl. Sie waren plötzlich von Zanreloten umstellt gewesen und ihre Möglichkeiten hatten darin bestanden, in den Handel einzuwilligen, oder auf unbestimmte Zeit im Verlies zu landen. Und da keiner wusste, wo sie waren, hätte das sehr lange gedauert. Jona war wieder auf Reisen, um etwas gegen Zanrelot zu finden und Otti war ja grade zum zweiwöchigen Schüleraustausch gefahren.

Doch der Meister schien sie nicht als Gefangene zu betrachten, sondern eher als Gast. Er hatte sie in eine kleine Kammer gebracht und ihr ein paar Bücher dagelassen. Eigentlich las sie nicht wirklich gerne, aber es hatte sie schon überrascht, dass er sich so nett um sie kümmerte. Eigentlich hatte sie bisher ein ganz andere Bild von ihm gehabt.
Sie setzte sich auf das harte, alte Bett und nahm das oberste Buch zur Hand. „Harry Potter“ Leonie musste lachen. Natürlich, was hatte sie denn erwartet? Das Buch hatte sie selbstverständlich bereits gelesen. Ein Buch über einen armen schikanierten Jungen, der eigentlich Zauberer war. Merkwürdig, dass Zanrelot solche Bücher hier unten hatte. Sie dachte kurz nach. ‚Und wenn das Buch gar nicht ihm sondern Matreus gehört? Zu ihm würde das eher passen.’ Seufzend legte sie sich hin und schlug das Buch auf.


19

Als Karo und Pinkas in der Unterwelt ankamen, warteten bereits 2 Zanreloten auf sie. „Also wenn das zur Gewohnheit wird“, raunte Pinkas ihr zu, „dann wird es aber in Zukunft ganz schön schwierig, hier unbemerkt runter zu kommen.“

Karo ergriff seine Hand und zog ihn von der Plattform. Begleitet von den beiden Zanreloten machten sie sich auf den Weg zur Zentrale.

„Oh, ihr seid also zurück!“, wurden sie vom Herrscher der Finsternis begrüßt. „Ich hoffe doch für Euch, ihr wart erfolgreich? Einen Moment!“ Er murmelte einige Worte und plötzlich erschien ein grünlicher Schimmer um ihn herum. "Gebt mir den Stein!“

„Nein!“ rief Karo bestimmt. „Erst lassen sie Leo frei. Wo ist sie? Was haben Sie mit ihr gemacht? Und.. und… was haben sie da eben gezaubert?“

„Deiner Schwester geht es prima. Sie ruht sich zurzeit etwas aus. War ja auch ein anstrengender Tag für sie, morgens Schule und nachmittags Lübeck beschützen. Das ist schon ganz schön viel für so ein achtjähriges Mädchen.“ Er lachte kurz und sah sie dann genervt an. "Aber jetzt Schluss mit der Plauderei. Gib mir sofort den Stein!“

„Nein!“ rief jetzt auch Pinkas. Misstrauisch musterte er den grünen Schimmer um Zanrelot herum. Das hatte auch er noch nie gesehen. Aber das war momentan nicht so wichtig. Jetzt mussten sie Leo befreien. Und wenn Zanrelot sich an sein Wort hielt und den Stein deaktivierte, würden dann auch die Funkstrahlen wieder funktionieren.
Doch erstmal würden sie von hier verschwinden. Das mit dem Deaktivieren konnten sie auch später klären. Bestimmt wusste Tante Hedda eine Lösung. Er nahm den Stein aus seiner Tasche und hielt ihn vor sich in der linken Hand. In der rechten hielt er den Laserpointer schussbereit. „Erst holen Sie jetzt Leo, sonst läuft hier gar nichts.“

‚Elende Brut!’ Zanrelot musste sich sehr beherrschen es nicht laut auszusprechen. ‚Na wartet, jetzt brauche ich euch, aber wenn ich Matreus zurückgeholt habe… Heute werde ich euch wie versprochen ziehen lassen, aber ab morgen wird es so sein wie immer.’ Alles in ihm stäubte sich dagegen, weiter mit den Wächtern zu verhandeln. Am liebsten würde er seinem Zorn nachgeben und alle versteinern. Schön langsam. Gedemütigt würden sie um Gnade flehen. Und vielleicht würden sie sich ein bisschen so fühlen wie er jetzt.

Er sah kurz zu dem magischen Kreis herüber, wo er die Silhouette erkennen konnte. Mittlerweile hatte sein Neffe sich wieder auf den Boden gesetzt. Er wusste, dass sein Helfer das Geschehen verfolgte und nicht eingreifen konnte. War Matreus es überhaupt Wert, dass er sich hier so demütigen ließ, mit den Wächtern an einem Strang zu ziehen? Sicher, er war ihm nützlich und ab und an suchte er sogar die Gesellschaft des jungen Mannes, aber sich hier von den Kindern in eine Verhandlung verwickeln zu lassen, nur um seinen Diener zu retten? Ging das nicht zu weit? Zumal der es sich selbst zuzuschreiben hatte, dass er in dieser Misere steckte?

Zanrelot schluckte seinen Zorn herunter und winkte einen der Zanreloten zu sich. „Sollte sich einer von denen dort“, er zeigte mit den Finger auf die Wächter., „mehr als einen Meter vom Fleck bewegen während ich weg bin, schmeißt sie ins Verlies!“

Elegant drehte er sich und verließ die Zentrale durch den hinteren Ausgang.


20

Matreus fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Sein Körper fühlte sich schwach an und die Magie, die sonst immer gegenwärtig war, war kaum zu spüren. Doch nicht nur deshalb fühlte er sich unwohl. Er schämte sich zutiefst. In welche Situation hatte er den Meister gebracht aufgrund seines eigenen Versagens? Um den Stein zu bekommen musste er die Wächter dazu bringen, den Stein für ihn zu holen und in die Unterwelt zu bringen. Er musste mit dem Feind kooperieren.

Verzweifelt saß Matreus in dem magischen Kreis fest und musste zuhören, wie unverschämt die Wächter mit dem Herrscher der Unterwelt sprachen. Unfähig, einzugreifen und seinem Meister beizustehen. Der junge Magier beobachtete ihn genau. Er kannte seinen Meister sehr gut und erkannte die kleinen Hinweise auf dessen Gemütszustand mühelos. Zanrelot war drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren.

Matreus seufzte. Wieder war er Schuld, dass der Plan nicht funktionierte. Oftmals wurde ihm vorgeworfen, dass er unfähig war. Und in diesem Moment hatte er den Eindruck, dass dieser Vorwurf nicht komplett unbegründet war. Doch erst jetzt, wo Zanrelot sich so für ihn einsetzte, wurde ihm bewusst, dass er für ihn nicht nur ein Werkzeug war. Er musste mehr für ihn sein. Würde er sonst so viel auf sich nehmen, nur um einen Diener zu retten?


21

Leonie erschrak, als sich die Tür plötzlich öffnete. Sie war über dem Buch eingeschlafen. Kaum 5 Seiten hatte sie geschafft. Stattdessen war sie in einen unruhigen Schlaf mit einem merkwürdigen Traum gefallen. Irgendwas mit Matreus und Zanrelot und dem Stein. So genau wusste sie es nicht mehr. Sie rieb sich die Augen und klappte das Buch zu.

„Deine Geschwister sind zurück!“, sagte der Magier und hielt ihr die Tür auf.

Leonie sprang freudig vom Bett. Als sie sich Zanrelot näherte wurde sie langsamer. Argwöhnisch ging sie an ihm vorbei und versuchte, möglichst viel Abstand zu ihm zu halten. Sie betraten die Zentrale durch den Hintereingang. Leonie stürmte sofort auf die anderen Wächter zu und fiel Karo um den Hals.
„Ich bin so froh, dass ihr wieder da seid! Können wir jetzt gehen? Habt ihr den Stein?“

Karo beugte sich zu Leo runter und flüsterte „Weißt du noch den Dekostein auf meiner Fensterbank? Der sieht genauso aus wie der Richtige. Den werden wir Zanrelot geben, damit er den Anderen nicht doch einfach wieder aktivieren kann. Aber pss…!“

Verwirrt sah Leonie ihre große Schwester an. Natürlich war es wichtig, dass der Stein nicht wieder aktiviert werden konnte. Aber Zanrelot hatte doch gesagt, er müsste ihn deaktivieren, weil er gefährlich war. Hatte Karo eine Möglichkeit gefunden, ihn selbst zu deaktivieren? Nein, irgendwas stimmte da nicht. Dann hätte sich Zanelot nicht die Mühe gemacht, den Stein hier runter zu bekommen. Doch jetzt konnten sie das nicht besprechen.

Mit einem Handzeichen schickte Zanrelot seine Zanreloten weg. Langsam wurde er ungeduldig. „Der Weg ist frei, ich habe euch freies Geleit versichert. Und eure kleine Wächterin habt ihr auch wieder bekommen. Meinen Teil der Abmachung habe ich eingehalten. Nun gebt mir endlich diesen Stein!“

„Ok“, sagte Pinkas mit einem Grinsen im Gesicht. „Hier ist er.“ In diesem Moment schmiss er den Stein in hohem Bogen durch die Zentrale. „Lauft zur Schleuse!“, rief er den anderen zu. Doch Leonie konnte nicht so schnell reagieren. Sie begriff gar nicht so schnell, was hier vor sich ging. Wie angewurzelt blieb sie stehen.

„Nein!“ rief Zanrelot, als er sah wie Pinkas etwas durch die Zentrale warf. Als der Gegenstand auf den harten Boden der Zentrale traf, zerschellte er in tausend Stücke.
„Nein!“ rief der Meister wieder, aber diesmal klang es eher verzweifelt als böse. Er ließ sich vor den Scherben auf die Knie sinken und nahm einige Teile des Steins in die Hand. „Matreus! Nun werde ich Matreus nie zurückholen können. Und er wird elendig zugrunde gehen!“


22

Karo war schon im Flur, als sie feststellte, dass Leo ihr nicht gefolgt war. Schnell lief sie zurück in die Zentrale. Ihre Schwester stand noch immer an der gleichen Stelle wie zuvor. „Nun komm schon, wir müssen hier raus!“ Doch die kleine bewegte sich nicht. Es schien, als würde Leonie sie gar nicht hören. Schließlich erkannte Karo, was deren Aufmerksamkeit fesselte. Der Herrscher der Finsternis hockte auf dem Boden vor den Scherben des Steins.

Einem Moment lang war alles still. Dann hörten sie aufgeregte Schritte den Flur entlanglaufen und bald darauf erschien Pinkas in der Tür. Erst wollte er einen blöden Spruch loslassen, doch dann sah er die beiden Mädchen, die den auf dem Boden sitzenden Magier beobachteten. „Was geht denn hier ab?“ murmelte er nur leise.

„Was meinen Sie mit „Matreus wird elendig zugrunde gehen“?“ fragte Leonie schließlich leise.

Erst jetzt registrierte Zanrelot, dass die Wächter immer noch da waren. Sie hatten ihn gesehen in dieser demütigenden und peinlichen Situation. Doch seine Wut war nur schwach gegen seine Trauer. Sein Wissen, dass sein Neffe sehr bald völlig von der Welt verschwunden sein würde, schwächte auch ihn.

Müde stand er auf und setzte sich in den Stuhl. Er warf wieder einmal einen Blick zu dem Magischen Kreis, wo er Matreus Silhouette stehen sehen konnte. Bald würde nicht mal mehr das von seinem Neffen übrig sein. Er würde sich einfach komplett auflösen. Wieder spürte er tiefe Trauer. Es stimmte, dass er in dem jungen Magier nicht nur einen Diener sah. Nein, er war auch sein Neffe, Schüler, Gesellschafter und Vertrauter. Selbst, wenn er ihn oftmals schlecht behandelte, wie Zanrelot manchmal selbst zugeben musste, war er immer loyal an seiner Seite.

Er griff nach dem Becher Elexier, der neben dem Monitor stand und trank.

„Nun geht schon. Diesmal habt ihr gewonnen.“ Als er merkte, dass die Wächter immer noch nicht gingen, fügte er verbittert hinzu. „In Zukunft werdet ihr es leichter haben. Matreus wird euch nicht mehr im Weg sein.“ Er drehte sich um und sah verdrossen auf einen der Monitore.


23

Leonie wusste nicht so recht, was sie von Zanrelot Worten halten sollte. Und als sie Karo ansah, bemerkte sie, dass auch diese einen betroffenen Gesichtsausdruck machte. Nur Pinkas schien das alles nicht so richtig zu interessieren. Wahrscheinlich hatte er gar nicht richtig mitbekommen, was der schwarze Magier ihnen da grade gesagt hatte. Nämlich, dass Matreus ohne diesen Stein sterben würde.

Leonie schlucke und merkte wie ihre Augen feucht wurden. Klar wollten sie Zanrelot bekämpfen und Matreus war ihnen schon oft ein Dorn im Auge. Aber er würde ohne den Stein sterben. Den richtigen Stein. Den, der immer noch in Pinkas Jackentasche war. Denn der zerbrochene Stein war nur das Dekostück von Karos Fensterbank.

Leonie zog Karo an der Hand zu Pinkas. Dieser war verwirrt und hatte anscheinend den Eindruck, dass er etwas verpasst hatte. Leonie griff in seine Tasche. Ja, dort war er. Sie ging hinüber zur Plattform. Wortlos legte sie den Stein neben den Meister, drehte sich um und verließ zusammen mit den anderen die Zentrale.


ENDE


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