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Matreus
Bis in alle Ewigkeit



Bis in alle Ewigkeit



Prolog / alternatives Posting (RS II)
 
Matreus steht mit tief gesenktem Kopf vor Zanrelot, als dieser ihm bestätigt, er bräuchte ihn nicht mehr als Diener, er solle seine Sachen holen und die Unterwelt verlassen. Matreus fühlt und denkt in diesem Moment gar nichts mehr. Er ist leer, erschöpft und ausgelaugt. Nur ein leichtes, kaum erkennbares Nicken bringt er zustande, ehe er sich umdreht und ganz langsam auf direktem Weg zu seiner Kammer geht. Matreus Weg führt ihn durch viele Gänge, an vielen Räumen vorbei, doch kein einziges Mal hebt er den Kopf. Er blickt starr auf den Boden vor seinen Füßen, während sein Körper den Weg von ganz alleine findet.


Erst in seiner Kammer hebt er den Blick. Er sieht sich um, blickt auf den kleinen Tisch, den einfachen Holzstuhl und das lange Bücherregal an der Wand. Er soll seine Sachen packen, aber nichts von alledem gehört ihm. Matreus schüttelt tieftraurig den Kopf. Wirklich nichts, nicht einmal ein Staubkorn, könnte er mitnehmen. Denn ihm gehört tatsächlich nichts. Als er damals hier ankam, kam er ohne Tasche, nicht einmal eigene Kleidung, außer die an seinem Leib, brachte er mit in die Unterwelt. Alles, was hier in diesem Raum zu finden ist, hat ihm Zanrelot mit der Zeit zur Verfügung gestellt. Zanrelot, der Einzige, der ihm jemals das Gefühl gab, gebraucht zu werden. Sein Meister, den er nun tatsächlich derart verletzt und erzürnt hat, dass er ihn fortschickt, ihn verstößt, ihn aus seinen Diensten entlässt. Matreus hat alles verloren. Nichts hat er mehr, nicht einmal mehr Tränen. Eine große Leere füllt ihn stattdessen aus. Eine Leere, die er noch nie zuvor gespürt hatte. Sein Leben hat seinen Sinn verloren. Matreus wird den Rest der Ewigkeit allein verbringen müssen, mit einem leeren Herzen und einer verlassenen, gebrochenen Seele.

Matreus‘ Blick fällt auf das Bett, in dem er als Kind geschlafen hat. Wie ferngesteuert geht er darauf zu, hebt das Kissen an und holt etwas darunter hervor. Matreus besieht den Gegenstand lange und intensiv. Es ist ein kleines, rotes Kissen, handgenäht. Ein großes, gelbes, gesticktes M ziert die Oberseite. Und in der rechten unteren Ecke finden sich zwei sehr kleine, aber für Matreus unübersehbare Buchstaben: SL. Sarah Levy. Matreus schließt das kleine, nur handgroße Kissen, in seine Faust ein, während er einen Moment die Augen schließt, um die Erinnerung an sie zu ertragen. Er war damals doch nicht mir leeren Händen in die Unterwelt gezogen. Matreus hatte dieses Kissen dabei. Er bekam es von Sarah geschenkt, zu seinem ersten und einzigen glücklichen Weihnachtsfest, das er bei seiner Tante verbringen durfte. Matreus atmet leise seufzend aus, dann steckt er das Kissen in seine Hosentasche.

Nun hat er alles beisammen, was ihm gehört. Seine Kleidung und Sarahs Geschenk, mehr besitzt er nicht. Matreus verschwendet keinen Gedanken mehr an seine Vergangenheit in der Unterwelt. Es würde ihn zu sehr schmerzen, noch einmal über seinen Meister und Onkel nachzudenken, der ihn verstoßen hat. Als er seine Kammer verlässt und die Tür hinter sich schließt, verschließt er sich auch vor der Erinnerung. Matreus‘ Herz wird nie wieder lieben können. Für den Bruchteil einer Sekunde blickt er den Gang entlang. Dann dreht er sich um und verschwindet in der Dunkelheit.


Teil 1
 
Matreus saß am Ufer der Trave und blickte hinaus aufs Wasser. Über vier Monate war es nun schon her, dass sein Meister ihn aus seinen Diensten entlassen hatte, doch noch immer dachte Matreus jeden Tag stundenlang darüber nach, wie es nur soweit kommen konnte. Nie hätte er gedacht, dass er tatsächlich einmal ganz allein sein würde. Sein Meister hatte ihn bisher immer für sein Versagen angebrüllt und hart bestraft, aber niemals hatte er ihn fallen lassen. Doch Matreus war zu weit gegangen. Einmal zu oft hatte er einen Fehler gemacht. Er war einfach nicht gut genug gewesen und so musste er gehen.

Nachdenklich holte Matreus seinen Zauberstab aus der Jackentasche. Er besah ihn von allen Seiten und schüttelte den Kopf. Warum hatte er den eigentlich mitgenommen? Dieser Zauberstab gehörte Zanrelot, er wurde Matreus nur zur Verfügung gestellt. Doch als er seine Sachen packte, hatte er einfach vergessen, ihn aus der Jackentasche zu nehmen. Matreus hatte ihn nicht mehr benutzt, seit er an der Oberfläche war. Die Magie in ihm war nicht sein Eigentum und er hatte sich geschworen, sie nicht mehr zu benutzen, es sei denn, Zanrelot persönlich würde es ihm gestatten. Doch daran glaubte er schon lange nicht mehr. Zu viele einsame Tage und lange, kalte Nächte waren bereits vergangen.

Matreus wusste mit seinem neuen, selbstbestimmten Leben nichts anzufangen. Er hatte nie etwas anderes gelernt, als zu tun, was ihm gesagt wurde. Schon als Kind hatte ihm das erst sein Vater und später Zanrelot auf besonders schmerzvolle, aber sehr effektive Weise beigebracht. Eigene Entscheidungen zu treffen oder gar eine eigene Meinung zu haben, war ihm nie gestattet worden. Wie sollte er sich also nun alleine zurechtfinden? So saß er die meiste Zeit am Ufer der Trave und dachte über vergangene Zeiten nach. Zeiten, in denen sein Leben zwar hart, aber nicht so leer und sinnlos war. Als er noch eine Aufgabe hatte. Zeiten, in denen er bei seinem Meister sein durfte, ihm diente und treu ergeben war. Und das war er immer noch. Seufzend steckte er den Zauberstab zurück in die Jackentasche. Er musste sich damit abfinden, dass diese Zeiten nun endgültig vorbei waren. Der Meister brauchte ihn nicht mehr, das hatte er ihm selbst gesagt.

Matreus stand auf. Tiefe, endlose Trauer lag in seinem Blick. Er wusste nicht, wohin er nun gehen, was er tun sollte. Doch seine Beine trugen ihn vorwärts. Matreus ergab sich dem Drang seines Körpers, sich zu bewegen. Er achtete nicht auf den Weg. Gedankenverloren blickte er auf seine Füße, die ihn immer weiter trugen, bis sie plötzlich unvermittelt stehen blieben.


Teil 2
 
Überrascht blickte Matreus auf. Er stand direkt vor Jonas Boot. Er wusste wirklich nicht, wie er dort hingekommen war oder was er dort wollte. Verwirrt blickte er das alte, verlassene Boot an. Jona selbst hatte sich bei Matreus‘ Abschied in der Unterwelt befunden, durch den Armreif dazu gezwungen, seinem Vater zu gehorchen. Matreus wusste natürlich, dass das nur gespielt war. Jonas Seele konnte Zanrelot nicht beherrschen, sein Herz konnte der Armreif nicht berühren. Matreus hatte immer wieder ein äußerst schlechtes Gewissen, wenn er daran dachte, dass er seinem Meiser diese wichtige Information vorenthalten hatte. Er hatte Jona noch nie verpfiffen, egal, was das für ihn bedeutete. Und sollte Zanrelot jemals herausfinden, dass Matreus von vornherein über Jonas üble Masche bescheid wusste, würde es ihm ganz sicher sehr schlecht ergehen. In Matreus‘ Hals setzte sich ein riesiger Kloß fest, als er darüber nachdachte, was sein Meister dann wohl mit ihm anstellen würde. Für einen kurzen Augenblick schauderte Matreus, dann fiel ihm wieder ein, wo er war. Er stand vor Jonas Boot an der Oberfläche, er würde Zanrelot niemals wiedersehen. Doch selbst diese Erkenntnis konnte ihm sein schlechtes Gewissen nicht nehmen.

Matreus wusste immer noch nicht, warum er zu Jonas Boot gegangen war. Oft war er in der Vergangenheit hier gewesen, um seinem Cousin Botschaften von Zanrelot zu überbringen. Doch was wollte er nun hier? Verwirrt trat er näher an das alte Boot heran, das sehr heruntergekommen und ungepflegt aussah. Niemand hatte monatelang das Deck betreten. Matreus sprach sich selbst kurz Mut zu, dann klettertet er hinauf. An Deck sah er sich um. Seine Augen erblickten nichts als Dreck und Müll. Er schüttelte kurz den Kopf darüber, wie sehr Jonas Boot in der kurzen Zeit tatsächlich schon verkommen war, dann begab er sich unter Deck. Dort lag noch der letzte Abwasch unerledigt im Spülbecken. Ein muffliger, gammliger Geruch erfüllte den Raum. Matreus hatte Mühe, zu atmen. Er sah sich um. Das Bett war nicht gemacht und schrecklich bunte Kleidung lag am Boden herum. Matreus ging auf den Schrank zu und öffnete ihn. Eigentlich war ihm immer strengstens verboten gewesen, an Jonas Sachen zu gehen. Doch an der Oberfläche galten andere Gesetze und außerdem war Jona ja auf Dauer verhindert.

Matreus warf nur einen kurzen Blick in den Schrank, bevor seine Augen sich an einer uralten, schwarzen Tasche festsetzten. Wie gebannt starrte er sie minutenlang an. Es war die Tasche, in der Jona damals seine Habseligkeiten verstaut hatte, als sie beide nach Sarahs Tod von Zanrelot abgeholt wurden. Matreus griff danach, setzte sich aufs Bett und öffnete langsam und vorsichtig den Verschluss. Doch was er zu sehen bekam, war bei Weitem nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Matreus hatte mir alten, selbst genähten Kleidern, Spielsachen und Kinderbüchern gerechnet, all die Dinge eben, die sie in ihrer Kindheit so sorgfältig vor Zanrelot versteckt hatten. Unnützen Plunder, wie er es nannte. Doch in dieser Tasche befand sich nichts dergleichen. Matreus erblickte stattdessen nur ein einziges, sehr dickes und extrem altes, abgenutztes Buch. Er nahm es an sich und begann, darin zu lesen. Es war Jonas Tagebuch. Der letzte Eintrag stammte exakt vom Vortag seines Erscheinens in der Unterwelt.

Matreus überflog nur kurz ein paar Seiten. Ein schelmisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er steckte das Buch vorsichtig in die Innenseite seiner Jacke und verließ das Boot, ohne noch einmal zurückzusehen.


Teil 3
 
Matreus wollte gerade gehen, als er Stimmen auf sich zukommen hörte. Er erkannte Pinkas, der vor sich hinschimpfte, und verkroch sich sofort hinter einen Strauch. Auf die Wächter konnte er nun wirklich verzichten. Die würden sich doch sicher nur über ihn lustig machen, wenn nicht sogar angreifen. Matreus saß regungslos und mucksmäuschenstill hinter dem Busch und hoffte, die Kinder würden bald wieder verschwinden. Er nutzte die Zeit, um die vier Wächter zu belauschen. Etwas anderes blieb ihm auch kaum übrig.

Pinkas war der Erste, den er durch das Gestrüpp hindurch erkennen konnte.

„Oh Mann, so ein Quatsch. Jetzt schlag ich mir meine Freizeit um die Ohren, nur wegen Leos hirnrissiger Idee“, sagte der Junge.

Schon erklang Karos Stimme. „Jetzt stell dich nicht so an, Pinkas. Du kannst Leo ja wohl auch mal einen Gefallen tun. Das ist auf jeden Fall besser, als vor deinem bescheuerten Computer rumzusitzen.“

„Bescheuerter Computer? He, passt auf, was du sagst, ja?“, rief Pinkas entrüstet aus.

Da schaltete sich Otti ein. „Jetzt reichts aber echt mal. Könnt ihr euch nicht einmal zusammenreißen! Wenigstens für Leo.“

Pinkas und Karo tauschten einen schuldbewussten Blick aus. Leo, die kleinste der Wächter, hatte vorgeschlagen, Jonas Boot in Ordnung zu bringen, damit er es schön hat, wenn er wiederkommt. So schleppten die Wächter Unmengen an Putzzeug heran und Matreus wurde bewusst, dass er wohl so schnell nicht wieder hinter seinem Busch hervor kommen könnte. Er stellte sich auf einen langen Nachmittag ein.

„Guckt mal, es ist doch gar nicht so schlimm. Das haben wir doch sicher bald geschafft“, hörte er Leo zuversichtlich sagen.

Pinkas biss sich fest auf die Zunge, um einen Kommentar zu unterdrücken. Leo sah die anderen fröhlich an. „Kommt, wir fangen an. Jona soll ein schönes zu Hause haben, wenn wir ihn da endlich rausgeholt haben.“

Matreus horchte auf. Wieso „rausgeholt“? Als er ging, war Jona gerade dabei, Zanrelot an der Nase herumzuführen. Was war geschehen? Hatte der Meister am Ende erkannt, was für ein Spiel sein Sohn spielte? Matreus musste nicht lange warten, da wurden seine unausgesprochenen Fragen beantwortet.

Pinkas konnte sich nicht mehr beherrschen. „Mensch Leo, Jona sitzt seit über drei Monaten im Verlies fest. Zanrelot lässt ihn kaum aus den Augen. Wie zum Teufel willst du ihn da rausholen, hm?“

Leo begann, zu schluchzen. „Aber Jona ist doch unser Freund. Wenn wir ihm nicht helfen, dann kann das doch niemand. Wir müssen ihn rausholen. Das schaffen wir doch. Nicht wahr, Otti?“

Otti sah das kleine Mädchen mitleidig an. Er wollte sie nicht belügen, also antwortete er wahrheitsgemäß. „Wir werden unser Bestes geben, Leo. Wir werden es versuchen, so lange, bis wir ihn da raus haben.“

Doch Pinkas sah das ganz anders. „Und WIE willst du das machen? Da reinspazieren und ihn einfach mitnehmen? Hast du vergessen, wie apathisch er in der Ecke gesessen hat, als wir das letzte Mal unten waren?“ Ein Blick in Leos Augen ließ ihn diese Worte sofort bereuen. Betroffen und kleinlaut wandte er sich ihr zu. „Sorry Leo, das war nicht so gemeint.“ Doch Leo wusste, dass er recht hatte, auch wenn sie sich das niemals eingestehen wollte. Sie dachte kurz über Pinkas‘ Worte nach, dann begann sie leise zu weinen.

Karo stieß Pinkas zur Seite. „Pinkas! Du bist so ein Vollidiot!“, schrie sie ihn an. Dann sprach sie Leo leise an. „Komm Leo, lass uns unter Deck gehen. Wir fangen dort an mit Saubermachen. Hör nicht auf Pinkas, der hat doch keine Ahnung.“ Sie nahm ihre kleine Schwester an der Hand und zog sie mit sich.

Otti sah seinen Bruder vorwurfsvoll an. „Das hast du ja mal wieder super hingekriegt.“ Pinkas blickte betroffen auf seine Schuhspitzen. Kleinlaut nahm er einen Eimer und einige Lappen zur Hand. „Ich... Also ich fang dann mal da drüben an“, sagte er und machte sich an die Arbeit. Otti sah ihm kopfschüttelnd nach. Doch schließlich wandte er den Blick ab. Nachdenklich ergriff er die restlichen Putzsachen. „Er hat recht, wir können Jona in seinem jetzigen Zustand nicht einfach rausholen.“ Er seufzte. „Wenn wir es nicht bald schaffen, ist er verloren. Dieses Verlies bringt ihn noch völlig um den Verstand. Und dann könnten wir ihn höchstens noch in der Klapse abgeben.“ Traurig machte er sich mit dem Putzzeug auf den Weg an Deck, um Pinkas bei der Arbeit zu helfen.

Matreus hatte genug gehört. Da die Kinder mit Putzen beschäftigt waren, konnte er sich heimlich davonschleichen, ohne dass sie etwas merkten. Er ging die Trave entlang und dachte darüber nach, was er soeben gehört hatte. Jona war also im Verlies eingesperrt, und das schon seit einer ziemlich langen Zeit. Matreus selbst wusste nur zu gut, wie man sich nach langer Zeit in diesem kalten, feuchten und absolut leeren Raum fühlt. Doch drei Monate musste selbst er noch nie darin verbringen. Jona musste schon dem Wahnsinn nahe sein. Kein Mensch könnte sich der Wirkung dieses Raumes für so lange Zeit entziehen. Und wenn Jona im Verlies saß, hieße das im Umkehrschluss, dass Zanrelot in der Unterwelt alleine war. Er hatte keinen Helfer, nicht einmal einen Diener, der für ihn die Arbeiten an der Oberfläche erledigte.

Matreus setzte sich ins Gras. Sein Meister war nun dort unten auf sich allein gestellt. Im ersten Moment dachte Matreus nur an ‚ausgleichende Gerechtigkeit‘. Doch dann siegte ein anderes Gefühl. Matreus hatte Mitleid. Die starke Verbundenheit, die er für seinen Meister empfand, war stärker als alles andere. Und so konnte er dieses Gefühl nicht unterdrücken. Jetzt, wo er wusste, dass es auch seinem Meister nicht sehr gut ging, fühlte er sich noch schlechter als zuvor.


Teil 4
 
Matreus döste vor sich hin. Langsam fiel er in einen schlafähnlichen Zustand, sein Körper war hellwach, doch der Geist begab sich auf die Reise. Die Jahre seiner Kindheit zogen an ihm vorbei, die körperlichen und seelischen Misshandlungen seines Vaters, die Ignoranz seiner Mutter und die harte Arbeit, die er damals schon verrichten musste.

Seine Erinnerungen zogen weiter. Seine Eltern waren gestorben, mit ihnen die gesamte Familie. Die Pest hatte alle dahingerafft. Dann sah er Jona als 10jährigen Jungen vor sich. Er streckte die Hand nach ihm aus und Matreus ergriff sie. Jona und Matreus lebten von nun an bei Sarah, Jonas Mutter. Sie kümmerte sich liebevoll um beide Jungen, als wären sie beide ihre Söhne. Bei ihr fand Matreus endlich ein richtiges Zuhause. Er erlebte zwei unbeschwerte Jahre, in denen er keine Schläge und Beschimpfungen zu fürchten brauchte. Sarah erzog ihn mit Liebe und Geduld und Matreus dankte es ihr mit Gehorsam. Es war die schönste Zeit in seinem Leben, denn es wurde ihm etwas geschenkt, das er vorher niemals hatte und ihm auch später nie wieder vergönnt war: eine richtige, liebende Familie.

Matreus sah viele Szenen vor sich, in denen er ausgelassen mit Jona spielte, mit ihm gemeinsam Lese- und Schreibunterricht hatte und sie miteinander Geheimnisse teilten. Ja, sie waren damals tatsächlich richtige Brüder gewesen.

Als Matreus langsam aus seinem Traum erwachte, sah er eine Gestalt vor seinen Augen. Es war nur eine kurze Erscheinung, doch sie brannte sich wie ein glühendes Eisen in sein Herz. Matreus blickte in Sarahs Gesicht. Sie sah ihn todtraurig an, verletzt, enttäuscht und wahnsinnig unglücklich. Tränen rannen über ihre Wangen. Beinahe unhörbar flüsterte sie: „Du hast es versprochen, Matreus.“ Langsam verblasste ihr Gesicht, bis es schließlich völlig verschwand.

Matreus öffnete die Augen. Betroffen setzte er sich auf. Lange blickte der junge Mann auf das Wasser der Trave. Er konnte den Ausdruck in Sarahs Augen nicht vergessen, der direkt in seine Seele stach.

Entschlossen stand er auf. Er musste dringend etwas unternehmen. Mit dieser großen Schuld konnte er nicht leben. Nicht, nachdem er nun Bescheid wusste, was da unten geschah. Er hatte es damals geschworen und er wusste, dass der Schmerz in seinem Herzen erst nachlassen würde, wenn Sarah keinen Grund mehr hatte, zu weinen.


Teil 5
 
Vorsichtig schlich Matreus um das Haus der Wächter. Scheinbar befanden sich die Kinder in der Scheune, die Eltern waren nicht zu Hause. Als er näher an die Scheune herankam, vernahm er Karos Stimme. „WAS??? Spinnst du!? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!“, schrie sie hysterisch. Neugierig legte Matreus ein Ohr an die Außenwand. Otti versuchte gerade, den anderen etwas zu erklären und scheinbar gefiel dieser Plan keinem der Wächter sonderlich gut. „Doch Karo, das meine ich ernst. Es ist unsere einzige Möglichkeit, ihn für immer loszuwerden“, hörte Matreus den Ältesten in der Runde sagen. Leos Stimme zitterte erbärmlich. „A... aber, was... was wird aus... Jona?“ In der Scheune wurde es still. So still, dass Matreus den Atem anhielt, weil er dachte, sie könnten ihn hören. Erst einige Sekunden später platze Pinkas in die Stille. „Keine Sorge, Leo. Jona holen wir da schon vorher raus. Das verspreche ich dir. Und wenn ich selber da runter muss.“ Wieder ergriff Otti das Wort. „Wir werden alle runter müssen, um das zu schaffen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Und jetzt, wo er alleine ist und niemanden mehr hat, der ihn warnen kann oder für ihn die Drecksarbeit erledigt, können wir praktisch unbehelligt angreifen. Wir müssen uns keine Sorgen darüber machen, dass uns jemand unerwartet schnappen könnte.“

Matreus wurde durch einen lauten Ruf gestört. Es war Julia, sie holte die Kinder zum Essen. Diese unterbrachen genervt das Meeting und folgten ihrer Aufforderung. Matreus verstecke sich so gut es ging, bis die Kinder im Haus verschwunden waren. Dann machte er sich leise aus dem Staub. Nun wusste er zwar, dass die Wächter etwas planten, aber was genau, konnte er nicht erfahren. Er musste allerdings etwas Schlimmes, Endgültiges sein, soviel war klar.


Teil 6
 
Als Matreus zurück an seinem Lieblingsplatz an der Trave angekommen war, dachte er lange und intensiv darüber nach, was in den letzten Stunden geschehen war. Er griff in seine Hosentasche und zog das kleine Kissen hervor. Sehr lange und intensiv betrachtete er es. Er umschloss es fest, hielt es an sein Herz und flüsterte: „Ich werde mein Versprechen halten, Sarah.“ Dann steckte er das Kissen wieder ein.

Nun holte er Jonas Tagebuch aus der Jackentasche und begann, in Ruhe darin zu lesen. Besonders die neueren Einträge waren sehr interessant. Matreus erfuhr von vielen Reisen, in denen Jona versucht hatte, das endgültige Mittel zur Vernichtung Zanrelots zu finden. Natürlich hatte er schon zuvor davon gewusst, dass Jona seinen Vater vernichten wollte, dennoch war er entsetzt über das, was er zu lesen bekam. Jonas Hass auf seinen Vater war dermaßen tief, dass er auch vor grausamsten Mitteln nicht haltgemacht hätte. Und auch über Matreus gab es einiges zu lesen. Jona hatte Mitleid mit ihm, konnte seine treue Ergebenheit und seinen absoluten Gehorsam nicht verstehen und hatte sich zum Ziel gesetzt, ihn aus Zanrelots Fängen zu befreien.

Matreus las diese Zeilen mit gespaltenen Gefühlen. Auf der einen Seite verspürte er Wut darüber, dass Jona nicht verstand, warum er dem Meister so ergeben war. Doch es erfüllte ihn auch mit einer Wärme, als er las, wie sehr Jona an seinem Wohl interessiert war. Matreus war sehr gerührt darüber, dass sich in all den Jahren tatsächlich jemand um ihn gesorgt hatte. Das war ihm niemals bewusst gewesen.

Matreus verlor sich beinahe in Jonas Tagebuch, die Zeit verflog förmlich, und als er auf die Uhr sah, erschrak er. Er wollte sich eigentlich anderen Einträgen in diesem Buch widmen, Berichten über die Wächter, Pläne, die noch nicht durchgeführt wurden und neue Strategien, die damals noch nicht reif waren. So schob er alle störenden Gedanken und Gefühle beiseite, wie er es gelernt hatte, und begann mit der Arbeit.

Er durchforstete das Tagebuch intensiv. Nicht die kleinste Information über die Wächter wollte er sich entgehen lassen. Und vielleicht würde er sogar einen Hinweis auf diesen endgültigen Plan finden, den diese durchführen wollten. Nach einer ganzen Weile war es schließlich soweit. Matreus blieb an einem sehr interessanten Eintrag hängen.

22.05.2001
Heute habe ich im fernen Asien eine Möglichkeit gefunden, Zanrelot tatsächlich für immer auszuschalten. Es gibt ein spezielles Gas, das nur dort in einem geheimen Labor hergestellt wird. Nur eine Handvoll Menschen weiß davon. Dieses Gas raubt Dämonen alle Zauberkräfte und löst sich anschließend mitsamt der Magie in Nichts auf. Das Gefährliche daran ist, dass Nicht- oder Halbdämonen, Wächter und sonstige Unschuldige beim Einatmen dieses Gases ein qualvoller Tod erwartet. Ich konnte eine Flasche davon erbeuten, habe sie gesichert und an einen geheimen Ort gebracht. Diese Informationen habe ich auch Otti weitergegeben. Er ist, neben mir, der Einzige, der davon weiß. Im Moment bin ich dagegen, dieses Mittel einzusetzen. Das Leben der Wächter wäre zu sehr gefährdet. Und so sehr ich meinem Vater auch wünsche, für alle Ewigkeiten ohne Magie im Erdinneren festzusitzen, umso trauriger würde es mich machen, Matreus zu verlieren. Doch sollte ich einmal in großer Gefahr sein und den Wächtern nicht mehr helfen können, so habe ich Otti angewiesen, diesen Plan in die Tat umzusetzen, mit großer Sorgfalt und absoluter Selbstdisziplin. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn dieses Mittel in falsche Hände gerät.


Matreus klappte das Tagebuch zu. Jona hatte also schon vor einigen Jahren etwas gefunden, womit er Zanrelot die magischen Kräfte für immer unwiederbringlich rauben könnte. Und einer der Gründe, warum er es nicht getan hatte, war er, Matreus. Er konnte er gar nicht recht glauben. Doch um weiter darüber nachzudenken, hatte er nun keine Zeit. Ihm wurde schlagartig bewusst, was die Wächter vorhatten. Otti hatte gesagt, sie würden Zanrelot endgültig loswerden. Und wie kann man das besser, als wenn man ihm die Kräfte raubt und ihn hilflos in der Unterwelt zurücklässt. Leos Sorgen, was mit Jona geschehen würde, passten ebenfalls perfekt. Jona würde als Halbdämon einen grauenvollen Tod erleiden, sollte er dieses Gas einatmen. Dasselbe Schicksal würde Matreus an seiner Stelle blühen.

Matreus seufzte laut. Wenn er nur wüsste, wo Jona das Fläschchen versteckt hat. Höchstwahrscheinlich hatte es aber sowieso schon Otti an sich genommen und in die Scheune gebracht. Dort konnte Matreus nicht hin. Die dunkle Magie in ihm machte dies noch immer unmöglich. Also musste ein Plan her. Matreus hatte seine Ziele fest vor Augen: Zanrelot vor diesem Gas bewahren und, falls irgendwie möglich, Jona aus dem Verlies zu holen.


Teil 7
 
In den nächsten Tagen spionierte Matreus die Wächter intensiv aus. So konnte er in Erfahrung bringen, dass diese tatsächlich bereits im Besitz des Gases waren. Otti hatte auch schon einen Plan, wie sie es einsetzen konnten, ohne sich selbst zu töten. An Jona dachten sie nicht. Jedes Mal, wenn sie davon sprachen, Zanrelot endlich los zu sein, schüttelte Matreus den Kopf. „Und Jona lasst ihr draufgehen. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr“, murmelte er in diesen Tagen häufig. Er konnte es einfach nicht begreifen, dass die Wächter das Wohl Lübecks über das ihres Mentors stellten. Niemals hätte Matreus gedacht, dass diese Kinder zu so etwas fähig wären. Sie waren im Begriff, Zanrelots Zauberkräfte zu eliminieren und gleichzeitig Jona zu ermorden, auf absolut grauenvolle Weise.

Der Plan, den die Wächter geschmiedet hatten, war beinahe perfekt. Otti hatte eine Art „Zeitbombe“ vorgeschlagen, die sie nach Anleitungen aus dem Internet leicht basteln konnten. Sie wollten damit in die Unterwelt gehen, die Bombe dort in einem Winkel verstecken, durch die magische Formel aktivieren und sofort wieder verschwinden. Das Zeitfenster betrug genau 5 Minuten. Otti hatte alles mehrmals überprüft und nachgerechnet. Pinkas war sofort für diesen Plan gewesen. Er hatte schon lange damit abgeschlossen, Jona wirklich befreien zu können. Karo wurde von den beiden Jungs überzeugt. Die drei konzentrierten sich nur noch auf den Plan und vergaßen Jonas Schicksal vollkommen. Allein die kleine Leonie sah todtraurig aus. Sie sprach kaum noch und lachte nicht mehr. Ihr war anscheinend als Einzige bewusst, was sie da im Begriff waren, zu tun. Doch sie sagte nichts. Eine Wächterin zu sein und in diesem Sinne das Richtige zu tun, wog mehr, als alle Liebe zu ihrem Freund und Mentor. Sie wusste, dass es ihr Herz brechen und ihre Seele für immer bluten lassen würde, doch es gab keine andere Möglichkeit.

Matreus mischte sich nicht in die Vorbereitungen der Wächter. Er hätte sie nicht aufhalten können, jedenfalls nicht aktiv und besonders nicht zu so einem frühen Zeitpunkt. Matreus hatte ebenfalls einen Plan. Und er war fest entschlossen, ihn durchzuziehen.


Teil 8
 
Eine Woche später war es schließlich soweit. Die Wächter hatten sich dazu entschlossen, ihren Plan in der kommenden Nacht in die Tat umzusetzen. Und so kam es, dass sie um 2 Uhr nachts an der Schleuse standen, fest entschlossen, Zanrelot für immer unschädlich zu machen. Und Jona zu töten. Doch daran dachten sie immer noch nicht.

Matreus hatte beobachtet, dass die Kinder mitsamt der Bombe in die Unterwelt gereist waren. Seine eigenen Vorbereitungen hatte er schon vor einigen Tagen abgeschlossen. Nun musste er ihnen nur noch folgen. Er atmete einige Male tief ein und aus, sammelte Mut und Kraft. Matreus hatte nicht nur seit nunmehr 5 Monaten die Unterwelt nicht mehr betreten, auch seine Zauberkräfte blieben in dieser Zeit unbenutzt. Er konzentrierte sich stark darauf, wo in der Unterwelt er ankommen wollte, drehte sich und landete tatsächlich in dem vereinsamten, kurzen Gang zur alten Küche. Matreus wusste, dass Zanrelot so gut wie nie dort war. Hier würde er ihm ganz sicher nicht über den Weg laufen. Jedenfalls nicht sofort.

Matreus sah sich kurz um. Wie hatte er diese Welt vermisst. Seine Welt, sein Zuhause. Er atmete die Luft ein, die ihm so gefehlt hatte, berührte die kalten, dunklen Mauern, als wären sie aus Watte und kein bisschen hart. Er seufzte und legte seine Stirn an der Wand ab. Wie hatte er das alles vermisst. Das wurde ihm in diesem Augenblick wieder vollends bewusst.

Doch daran durfte er jetzt nicht denken. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Die Wächter waren bereits unterwegs und so durfte er keine Zeit mehr verlieren. Vorsichtig schlich Matreus durch die Gänge, wohlwissend, dass Zanrelot ganz sicher in der Zentrale die Bildschirme beobachtete und ihn jederzeit entdecken konnte.

Matreus musste nicht weit gehen, da hörte er ganz leise Stimmen. „Psst, pass doch auf, Mensch. Mach nicht so einen Lärm. Wenn der uns erwischt, macht er uns alle platt.“ Pinkas warf Karo einen bösen Blick zu. Diese versuchte natürlich sofort, sich zu rechtfertigen. „Ich hab gar nichts gemacht. Pass lieber du auf, dass du leise bist.“ Otti war wieder einmal genervt von dem Kleinkrieg der beiden. „Ihr seid jetzt beide ruhig, kapiert!?“, zischte er, woraufhin die beiden tatsächlich verstummten. Die kleine Leonie ging betroffen und still neben den anderen her.

Matreus heftete sich an ihre Fersen. Unbemerkt konnte er den Wächtern bis zu dem Punkt folgen, an dem sie die Bombe anbringen wollten. Er lies sie gewähren. Auch das gehörte zu seinem Plan. Er wusste, dass 5 Minuten auch für ihn sehr knapp bemessen waren, doch sie mussten reichen. Es durfte einfach nichts dazwischenkommen.

Nachdem die Wächter die Bombe durch ihre magische Formel aktiviert hatten und davongeeilt waren, nahm Matreus den Behälter vorsichtig an sich. Er sah den Kindern kurz nach. „Was für elende Feiglinge“, sagte er zu sich selbst. Dann war es an der Zeit, seinen eigenen Plan durchzuziehen.


Teil 9
 
Matreus rannte. Alles musste jetzt sehr schnell gehen. Sein Weg führte ihn zum Verlies. Ohne darüber nachzudenken, verschaffte er sich Zutritt. Dort saß Jona, ein jämmerliches Häufchen Elend, in der Ecke und starrte auf die gegenüberliegende Mauer. Matreus blieb erschrocken stehen. Noch nie hatte er einen Menschen in einem derart apathischen Zustand gesehen, mit leeren Augen und völlig ausgebleichter Haut. Doch das durfte ihn jetzt nicht aufhalten. Er hatte noch 3 Minuten. Er musste sich beeilen.

Matreus packte Jona kraftvoll am Arm. Er zog ihn grob herum und landete schließlich gemeinsam mit ihm vor dem Haus der Wächter. Diese waren gerade dabei, zurück ins Haus zu gehen. Ihre Gesichter sprachen Bände. Doch auch hier konnte und wollte Matreus keine Zeit verlieren. Er sah gerade noch Leonie auf Jona zustürzen, ehe er sich zurück nach unten transferierte.

2 Minuten blieben ihm nun noch. Er hatte sich direkt vor den richtigen Raum transferiert. Die einzige Kammer der Unterwelt, die sowohl schall-, luft-, als auch strahlendicht war. Eine Art zweites Verlies, genauer gesagt ein Bunker, von Zanrelot für solche Notfälle eingerichtet. Theoretisch hätte er nur dort hineingehen müssen, dort wäre er sicher gewesen. Doch was dann? Zanrelots Schicksal hätte darin bestanden, den Rest der Ewigkeit in diesem Raum zu verbringen. Denn wo keine Magie ist, würde sich das Gas auch nicht mit ihr verbinden, um sich anschließend aufzulösen. Das hatte Matreus bedacht. Und natürlich auch, dass er sicher nicht vor Zanrelot treten konnte, um ihm zu sagen, er müsse in diese Kammer gehen, da ansonsten etwas Schlimmes geschehen würde. Matreus war der Meinung gewesen, der Meister hätte ihm nicht geglaubt. Jedenfalls hätte er auf keinen Fall ohne Nachfragen reagiert und so viel Zeit blieb nicht. Also hatte sich Matreus anders entschieden. Er dachte nicht darüber nach, es war seiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit.

Matreus fuhr heftig zusammen, als in diesem Moment der Lautsprecher erklang. „MATREUS!!!“ Er sah sich erschrocken und ängstlich um. Der Meister hatte ihn auf dem Bildschirm entdeckt. Zitternd beobachtete er die schwarze Gestalt, die sich vor seinen Augen manifestierte. „Du wagst es, hier aufzutauchen und Jona zu befreien!?“ Matreus wich ein Stück zurück, bis er an der Wand anstieß. Zanrelots Augen funkelten giftgrün und er bebte förmlich vor Zorn. Matreus wurde heiß und kalt. Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Starr vor Furcht vergaß er beinahe seinen Plan und warum er überhaupt in die Unterwelt gegangen war.

Ein kurzer Blick auf die Bombe lies ihn alles andere vergessen. Er musste das schaffen, es gab kein zurück. Eine letzte Minute Zeit blieb ihm. Und so nahm er all seinen Mut zusammen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er nicht mehr unterdrücken konnte. Was er zu sagen hatte, kam ihm nur schwer über die Lippen. „Meister, ich bitte Euch, vertraut mir nur noch dieses eine Mal. Ich ... ich habe Euch nie belogen. Folgt mir nicht nach, es würde schrecklich für Euch enden. Bitte Meister, tut mir diesen einen, letzten Gefallen. Vertraut mir.“ Er drehte sich ohne weitere Erklärungen um und verschwand in der Kammer. Zurück blieb ein verdutzter, wütender und völlig verwirrter Herrscher der Finsternis.

Matreus hatte ihn tatsächlich nie belogen. Und er hatte noch nie zuvor die Dreistigkeit besessen, seinem Meister einfach den Rücken zuzuwenden. Zanrelot ahnte, dass in seinem Reich etwas vorging, von dem er nichts wusste. Er transferierte sich zurück in seine Zentrale und schaltete den Monitor auf die Kammer, in der sich Matreus befand.


Teil 10
 
Matreus hatte sich in eine Ecke gesetzt. Er beobachtet die Zeitbombe. Der Countdown lief erbarmungslos. Noch 20 Sekunden. Tränen liefen über seine Wangen. Matreus hatte große Angst, doch er wusste, er tat das einzig Richtige.

10 Sekunden, 9, 8, 7, 6, 5, ... Matreus schloss die Augen. Er hatte sich entschieden, für den Meister und für Jona. Es gab kein zurück.

3, 2, 1. Es ging los. Das Gas strömte aus, langsam und unerbittlich. Schon beim ersten Atemzug krümmte sich Matreus vor Schmerzen. Sein gesamter Körper sog das mörderische Gift ein. Es erfüllte jede Faser und raubte ihm jegliche Lebenskraft. Matreus japste nach Luft, doch was in seine Lungen strömte, war wieder nur dieses Gas. Er sackte völlig in sich zusammen, wand sich auf dem Boden und kämpfte gegen das Unvermeidliche an. Vergeblich.

Nach langen Minuten der Qual lag Matreus‘ Körper leblos auf dem Boden. Das Gas, welches sich mit seinen halbdämonischen Zauberkräften verband, löste sich in Nichts auf. Alles machte den Eindruck, als sei nichts Außergewöhnliches geschehen.

Zanrelot starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Er konnte nicht fassen, was da soeben passiert war. Matreus, sein Diener, sein Neffe, sein Ziehkind, hatte soeben sein Leben für ihn gegeben. Dieser Junge hatte ihn tatsächlich dermaßen geliebt, dass er zu so etwas imstande gewesen war. Zanrelot sackte in seinen Stuhl. Er begriff nicht, wie das alles nur geschehen konnte.

Er legte eine Hand auf den Bildschirm. Leise, kaum hörbar, flüsterte er den Namen seines Neffen. „Matreus...“ Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr ihn dieser Junge geliebt hatte und was er ihm wirklich bedeutete. Matreus war ihm wahrhaftig treu und loyal ergeben gewesen. Bis in alle Ewigkeit.

ENDE



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Die Lüge & Auszeit
Jonas Zauberbuch
Begegnung mit Folgen
Bis in alle Ewigkeit
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© Stefanie Jaschek