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Matreus
Lehrstunden



Bei "Lehrstunden" handelt es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die alle mit diversen Unterrichtsstunden in Magie zu tun haben. Im Grunde ist jede davon eine kleine Story für sich, doch für jede eine einzlene Seite einzurichten, bzw. jeder einen eigenen Titel zu geben, wäre zu aufwendig. So also ein Titel für alle: "Lehrstunden". Viel Spaß damit.



Lehrstunden



Teil 1

Matreus lag weinend auf seinem Bett. Er hatte soeben seine Wunden eingerieben und nun ließ er dem Schmerz und der Trauer freien Lauf. Erst einige lange Minuten später beruhigte sich der Junge langsam wieder. Er setzte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Sein Hintern brannte schrecklich nach der Lektion, die ihm der Meister soeben erteilt hatte. Und das nur, weil er den einfachen Zauberspruch zur Verriegelung von Türen nicht auf Anhieb ausführen konnte. Doch Matreus musste auch zugeben, dass vier Fehlversuche hintereinander wohl doch etwas zu viel gewesen waren. Dabei hatte er sich wirklich angestrengt. Aber schon nach dem ersten fehlgeschlagenen Versuch hatte der Meister dermaßen gereizt reagiert, dass sich Matreus vor lauter Angst nur immer noch mehr verhaspelte. Je mehr Zanrelot ihn angeschrien und bedroht hatte, umso weniger konnte sich der Junge konzentrieren. Und so ging wieder einmal alles schief.

Natürlich wusste Matreus, dass diese Unterrichtsstunde offiziell noch nicht beendet war. Der Meister hatte es zwar aufgegeben, ihm schwierige Zauber beizubringen, doch so etwas Einfaches, wie Türen magisch zu öffnen oder zu verschließen, musste er einfach lernen. Zanrelot wollte schließlich einen wenigstens einigermaßen fähigen Diener aus ihm machen.

Und wirklich, keine 10 Minuten später schallte des Meisters Ruf durch die Unterwelt. Matreus erschrak ein wenig. So bald hatte er dann doch nicht mit einer erneuten Unterrichtsstunde gerechnet. Der Meister hatte sich sicher noch nicht wieder vollständig beruhigt und war nun noch leichter in Rage zu bringen, als es sonst sowieso schon der Fall war. Umso wichtiger war es, nun schleunigst zu reagieren. Matreus sprang auf und eilte in die Zentrale.

Zanrelot erwartete ihn bereits. Zögerlich trat der 12jährige Junge an das Podest heran. „Hier bin ich, Meister“, sagte er vorsichtig. Zanrelot nickte ihm nur kurz zu, dann drehte er sich weg. Matreus war äußerst verunsichert. Er wusste nicht, warum er hergerufen worden war, wenn der Meister doch ganz offensichtlich keine Aufgabe für ihn hatte. Er blieb schweigend vor dem Podest stehen und beobachtete, was Zanrelot tat.

Dieser kramte in einer Schublade und zog schließlich etwas heraus, das Matreus nicht erkennen konnte, weil sein Meister ihm die Sicht darauf versperrte. Schließlich ergriff Zanrelot das Wort. „Nach deinem Auftritt von vorhin, habe ich mich entschlossen, hier etwas Grundlegendes zu ändern.“ Matreus zog automatisch den Kopf leicht ein. Was hatte der Meister vor? Die Strafe für sein Versagen hatte er doch bereits erhalten und damit war die Sache bisher immer abgehakt gewesen. Er ahnte nichts Gutes. Lange konnte er auch nicht darüber nachdenken, denn der Meister sprach weiter. „Ich habe mich damit abgefunden, dass du, Matreus, nicht dazu in der Lage bist, auch nur die einfachsten Zaubersprüche ordnungsgemäß und erfolgreich auszuführen.“ Er drehte sich um und ging auf den verängstigten Jungen zu. Matreus blickte betreten zu Boden und schwankte zwischen Hoffen und Bangen.

Zanrelot baute sich vor ihm auf. „Nun, aus diesem Grund habe ich beschlossen, dir ein wenig unter die Arme zu greifen.“ Matreus hob erstaunt den Blick. Der Meister wollte etwas für ihn tun? Er konnte kaum glauben, dass sich Zanrelot überhaupt Gedanken darüber machte, wie es ihm ging. Und nun wollte er ihm sogar helfen.

Erst jetzt erblickte er, was Zanrelot in Händen hielt. Es war ein Zauberstab, leicht gräulich, mit einem grünen Stein am Ende. Matreus betrachtete das wertvolle Stück bewundernd und achtungsvoll. Dann sah er seinen Meister fragend an. Zanrelot hatte dem Jungen die Zeit gelassen, den Zauberstab eine Weile anzusehen. Nun fuhr er mit seiner Erklärung fort. „Das hier wird dir helfen, die Zauber auszuführen, die ich dich lehren werde. Es wird anfangs sicher nicht leicht sein, mit ihm umzugehen, doch du wirst es lernen.“ Er musterte seinen Neffen eindringlich. „Schließlich brauche ich einen Diener, der des Zauberns fähig ist.“

Er überreichte Matreus den Zauberstab. „Pass gut auf ihn auf und beschädige ihn nicht, Matreus. Er ist äußerst wertvoll“, sagte der Meister nachdrücklich. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran offen, was geschehen würde, sollte Matreus nicht angemessen mit dem Zauberstab umgehen.

Matreus nahm das wertvolle Stück entgegen. Eine Welle von Gefühlen brach über ihn herein. Zum einen war er etwas beschämt darüber, dass sein Meister fand, er käme nicht ohne Hilfsmittel aus. Doch andererseits spürte er eine große Dankbarkeit und auch ein wenig Stolz. Der Meister hatte ihm ein kostbares Geschenk gemacht. Er traute seinem Diener allem Anschein nach zu, mit diesem magischen Hilfsmittel angemessen und verantwortungsbewusst umzugehen.

Matreus war äußerst gerührt. Dankbar blickte er in Zanrelots Augen. „Vielen Dank, Meister. Ich werde ihn immer mit Stolz benutzen und in Ehren halten. Und ich werde mich sehr bemühen, Euch nicht mehr zu enttäuschen.“ Zanrelot sah den Jungen skeptisch an. Er wusste, dass Matreus sich meist sehr bemühte, doch das war bisher häufig einfach nicht gut genug gewesen.

Nach einer kurzen Weile wandte sich der Meister ab und ging hinüber zum Tisch. Im Vorbeigehen fixierte er den Rohrstock, der immer noch dort lag, wo er ihn erst vor einigen Minuten nach dem letzten Gebrauch abgelegt hatte. „Wir werden sehen, Matreus“, sagte er in Gedanken versunken. Matreus überkam ein mulmiges Gefühl. Er blickte ebenfalls auf den Rohrstock und hoffte insgeheim, ihn von nun an nicht mehr so häufig spüren zu müssen. Er nahm sich fest vor, dem Meister nicht so bald wieder einen Grund zu geben, ihn bestrafen zu müssen.

Matreus umfasste den Zauberstab und war fest entschlossen, sich nun wirklich redlich zu bemühen. Er fasste allen Mut, den er aufbringen konnte, und bat: „Meister, darf ich bitte den Spruch zur Verriegelung der Türen noch einmal versuchen?“

Zanrelot war überrascht. Er drehte sich zu dem Jungen um, der ihn verunsichert ansah. Er legte seine Hände ineinander, wie er es so oft tat, dann nickte er Matreus zu. „Gut, lass uns beginnen.“



Teil 2
 
Matreus stand mit dem Zauberstab im Anschlag vor einer Seitentür in der Zentrale. Er konnte es kaum erwarten, loszulegen. Zanrelot stand direkt hinter ihm. Er bemerkte natürlich, wie aufgeregt der Junge war und schüttelte den Kopf. Der Meister wusste, dass sich Matreus in diesem Zustand ganz sicher nicht ausreichend konzentrieren konnte. Ermahnend legte er seinem Diener die Hand auf die Schulter. „Konzentriere dich, Matreus. Hast du dir den Spruch eingeprägt?“ Matreus nickte eifrig. „Ja Meister, natürlich.“ Zanrelot rollte mit den Augen. Das konnte einfach nichts werden. Doch er hielt es für angemessen, den Jungen seinen Fehler selbst machen zu lassen, anstatt ihn schon im Voraus für seine Unkonzentriertheit zu schelten. „Dann beginne“, sagte er entschlossen.

Matreus nickte leicht. Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch und richtete den Zauberstab schließlich auf die Tür. „Porta racoctum“ sagte er laut und deutlich. Der Zauberstab begann, grün zu schimmern. Matreus strahlte übers ganze Gesicht. Doch nichts geschah. Das grüne Licht verschwand so schnell, wie es gekommen war. Genauso verhielt er sich mit Matreus‘ Lächeln. Er schluckte, als er sich langsam zu seinem Meister umdrehte. „Bitte verzeiht“, brachte er leise hervor. Zanrelot unterdrückte seinen Ärger, so gut es ging. „Du hast dich wieder nicht richtig konzentriert, Matreus.“ Der Junge wusste, dass ihm nun schon wieder Prügel zustanden. Er senkte schuldbewusst den Kopf und erwartete den Befehl seines Meisters, sich für den Vollzug der Strafe bereit zu machen.

„Versuch es noch einmal.“ Matreus war überrascht über die ruhige Stimme, mit der Zanrelot zu ihm sprach. Er hatte mit Gebrüll und Beschimpfungen gerechnet, außerdem mit dem Rohrstock. Stattdessen sah ihn Zanrelot auffordernd an. „Der Spruch lautet ‚Porta racocta‘. Merk dir das endlich. Ich habe nicht ewig Zeit.“ Der Meister wusste, wie schwer es Matreus fiel, lateinische Worte im Gedächtnis zu behalten. Und nun kam noch die neue Situation mit dem Zauberstab hinzu. So oft er den Jungen auch überforderte, heute wollte er seinem Diener eine wirkliche Chance geben. „Dreh dich um und konzentriere dich auf die Tür. Darauf, dass sie sich schließen soll. Und auf nichts anderes, hörst du? Nutze den Zauberstab. Und wenn du dich stark genug konzentrierst, dann erst sagst du den Spruch.“ Zanrelot nickte Richtung Tür. „Worauf wartest du?“

Matreus verstand diese ganze Situation nicht so recht. Er hatte einen Fehler gemacht und wurde dafür nicht bestraft. Ganz im Gegenteil. Der Meister nahm sich stattdessen die Zeit, ihm den genauen Ablauf des Zaubers noch einmal zu erklären. Matreus prägte sich alles ganz genau ein. Etwas nervös wandte er sich wieder der Tür zu. Er schloss fest die Augen. Alle möglichen Bilder flogen an seinem geistigen Auge vorbei. Er sah Zanrelot vor sich, der ihn anbrüllte, wie unfähig er sei und er war gerade im Begriff, ihn zu verprügeln. Matreus versuchte alles, um dieses Bild aus seinem Kopf zu verbannen. Soweit wollte er es auf keinen Fall wieder kommen lassen, zumindest nicht heute. Einmal am Tag war mehr als genug. Matreus dachte angestrengt an die Tür, die sich vor ihm befand. Er sagte sich immer wieder ‚die Tür soll sich schließen‘, ‚die Tür soll sich schließen‘. Und als er nur noch dieses eine Bild der sich schließenden Tür vor Augen hatte, öffnete er die Augen, zielte und sagte laut „Porta Racocta“. Der Zauberstab leuchtete augenblicklich giftgrün auf. Ein Strahl schoss hervor und traf auf die Tür. Diese schloss sich schwungvoll mit einem lauten Knall.

Matreus zuckte erschrocken. Es war wohl ein wenig zu viel des Guten gewesen, doch er hatte es geschafft. Die Tür hatte sich geschlossen. Und er hatte dies vollbracht, mithilfe seines neuen Zauberstabes. Ungläubig fixierte Matreus die Tür. Dann besah er den Zauberstab. Er drehte und wendete ihn in seinen Händen. Ein leises „Wow“ entfuhr ihm.

Matreus drehte sich zu seinem Meister um, der alles genau beobachtet hatte. Ihm war nicht entgangen, wie stark sich der Junge für diesen einfachen Zauber konzentrieren musste und wie schwer es ihm gefallen war. Doch er war vorerst zufrieden mit seinem Diener. Er nickte ihm kurz zu. Der Meister fand, dies sei genug Anerkennung. Kühl kommentierte er den Zauberversuch seines Neffen. „Du musst darauf achten, dass sich die Türe leise schließt. Wir sind schließlich in der Unterwelt und hier hallt es, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.“

Matreus freute sich sehr über das Nicken seines Meisters. So eine anerkennende Geste hatte er ihm schon lange nicht mehr geschenkt. Er wusste, dass er seine Sache für den Anfang ganz gut gemacht hatte. Und das erfüllte ihn mit großer Freude.

Zanrelot hob nur einmal kurz die Hand und die von Matreus verriegelte Tür öffnete sich augenblicklich wieder. Matreus staunte wie so oft über die Fähigkeiten seines Meisters. Er bewunderte die starke Magie, die in ihm steckte und hoffte, eines Tages wenigstens ein halb so guter Magier werden zu können, wie er einer war.

Schließlich erklärte der Meister die Unterrichtsstunde für beendet. „Ich denke, dabei sollten wir es für heute belassen. Du hast schließlich auch noch Aufgaben zu erledigen. Du darfst gehen.“ Matreus nickte Zanrelot zu. „Ja Meister. Danke für den lehrreichen Unterricht.“ Gehorsam und glücklich machte er sich daran, seine Arbeiten zu verrichten.



Teil 3
 
Zwei Monate waren bereits vergangen. Matreus gab sich größte Mühe, die Unterrichtsstunden, die in letzter Zeit wieder häufiger abgehalten wurden, erfolgreich zu beenden. Meist gelang ihm dies sogar recht gut. So kam es mittlerweile nur noch zwei bis drei Mal pro Woche vor, dass der Meister den Rohrstock nutzen musste, weil Matreus versagt hatte.

Eines Tages war es wieder soweit, dass eine Unterrichtsstunde anstand. Matreus wurde mitten aus seiner Arbeit heraus in die Zentrale gerufen. Doch anders als noch vor wenigen Wochen, freute er sich über den Ruf seines Meisters. Eilig begab er sich in die Zentrale. Doch heute sollte etwas anders sein, als bei den letzten Lehrstunden. Der Meister wartete nicht, wie gewohnt, alleine auf ihn. Jona stand mit einem verbissenen Gesichtsausdruck neben ihm. Matreus wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.

Er ging auf die Plattform zu, stellte sich an seinen Platz und sah die beiden erwartungsvoll an. Zanrelot quittierte sein Erscheinen mit einem kurzen Nicken. Der Meister sah angespannt aus, er wirkte nervös. Matreus fühlte ich unwohl, obgleich er noch gar nicht wusste, was hier vor sich ging.

„Matreus“, begann Zanrelot schließlich. Sein Tonfall klang äußerst ernst und streng. Matreus dachte bereits darüber nach, was er wohl angestellt haben mochte. Womöglich hatte Jona ihm wieder einmal die Schuld für irgendetwas zugeschoben, was er selbst verschuldet hatte. Fragend blickte er zu ihm hinüber, doch Jona zeigte keinerlei Gefühlsregung. Er stand einfach nur dort. Als der Meister fortfuhr, wandte Matreus den Blick von seinem Cousin ab und hörte Zanrelot aufmerksam zu. „Ich habe beschlossen, etwas zu versuchen. Eine Art Experiment.“ Er tauschte einen kurzen Blick mit Jona aus, der gar nicht erfreut aussah. „Du wirst heute lernen, einen Menschen mithilfe deines Zauberstabes zu vereisen.“

Langsam dämmerte Matreus, was der Meister vorhatte. Ungläubig starrte er zwischen ihm und Jona hin und her. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Doch Jonas Blick sprach Bände. Er sollte also mit seinem Zauberstab auf Jona zielen und ihn vereisen. Matreus wurde bleich. Sollte er dabei einen Fehler machen, Jona in irgendeiner Art verletzen oder auch nur das kleinste Gefühl von Unbehagen bei seinem Cousin aufkommen lassen, würde er das noch lange bereuen.

Zanrelot war der entgeisterte, ängstliche Blick seines Dieners nicht entgangen. „Ja, du denkst ganz richtig, Matreus. Du wirst Jona vereisen.“ Er trat nahe an den Jungen heran, der seinem Blick furchtsam folgte. „Und ich rate dir, dich anständig zu konzentrieren. Anderenfalls garantiere ich für nichts“, fügte Zanrelot bedrohlich leise an. Matreus zog den Kopf ein und nickte schwach. „Ja Meister.“

Ein paar Minuten später waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Jona stand inmitten der Zentrale. Er hatte vergeblich versucht, auf seinen Vater einzureden. „Bitte, Vater, überlege dir das noch einmal. Wenn Matreus das vermasselt, bin ich für immer zu Eis erstarrt. Oder vielleicht macht er einen anderen Fehler und ich werde zu sonst was“, hatte er gebettelt. So lange hatte er weiter gezetert, bis der Meister dem Ganzen mit einem wütenden „GENUG!“ Einhalt gebot. Es hatte alles keinen Zweck, Jona musste gehorchen.

Matreus erging es nicht besser. Da Zanrelot sowieso schon durch Jonas Verhalten gereizt war, fing sich sein Diener bei dem Versuch, diese Unterrichtsstunde zu verschieben, kurzerhand eine heftige Ohrfeige ein, woraufhin er augenblicklich verstummte.

Die beiden Jungen sahen sich verzweifelt an. Jona, weil er Angst davor hatte, von seinem Cousin versehentlich in ein schreckliches Wesen verwandelt oder getötet zu werden und Matreus, weil er schreckliche Angst vor den Folgen eines eventuellen Versagens hatte. Außerdem wusste er, wie es sich anfühlte, verzaubert zu werden und das wollte er eigentlich niemandem antun. Schon gar nicht Jona, der hier unten der Einzige war, der ihm wenigstens hin und wieder das Gefühl gab, erwünscht zu sein. Doch sie hatten beide keine Wahl.

So stand Jona unsicher mitten im Raum, während Zanrelot Matreus letzte Anweisungen gab. Er umkreise den Jungen nervös. „Du musst dich fest darauf konzentrieren, ihn zu vereisen. Du darfst nur daran denken. Lass dir die nötige Zeit. Konzentriere dich auf Jona und darauf, was du mit ihm machen willst.“ Zanrelot ergriff Matreus‘ Hand, in der er den Zauberstab hielt und richtete ihn auf Jona. „Bleib so“, befahl er und Matreus bewegte sich sofort kein Stück mehr. Zanrelot entfernte sich von dem Jungen und musterte ihn. Er war zufrieden mit seiner Position. Mit reichlich Unbehagen stellte er fest, dass Matreus der Angstschweiß übers Gesicht lief und er dazu auch noch zitterte. Er überlegte kurz, ob er den Jungen nicht doch ein wenig überforderte, doch den Gedanken schob er schnell beiseite. Sollte Matreus versagen und Jona wehtun, würde er die Konsequenzen zu spüren bekommen, und zwar ordentlich.

Matreus sah noch einmal zu seinem Meister hinüber. Dieser blickte ihn ernst an. Matreus schluckte. Er konnte in Zanrelots Augen ganz genau erkennen, was er sowieso schon befürchtet hatte. Doch es half alles nichts, er musste diesen Zauber versuchen.

Matreus konzentrierte sich fest auf Jona. Er stellte sich immer wieder vor, wie er zu Eis erstarrte. Aber dieses Bild wollte sich einfach nicht in seinem Kopf festsetzen. Stattdessen hatte er nur schreckliche Bilder vor Augen. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte sich immer wieder ‚es darf nichts passieren‘. Dann sah er Jona entschlossen an und schoss einen Strahl ab. Der grüne Energieball umgab Jona, der sich wie erstarrt mit geschlossenen Augen seinem Schicksal ergeben hatte. Zanrelot sah dem Schauspiel wie gebannt zu. Er hatte nicht vor, in irgendeiner Weise einzugreifen. Und plötzlich verpuffte die grüne Energie. Jona öffnete vorsichtig die Augen. „Das... das war ja komisch. Ich habe gar nichts gespürt“, sagte er verwundert. Matreus stellte mit Erleichterung fest, dass tatsächlich gar nichts geschehen war. Der Magiestrahl hatte sich lediglich um seinen Cousin gelegt, um sich dann selbst zu neutralisieren. Jona sah Matreus verwirrt an, während dieser erleichtert durchatmete.

Der Einzige, dem dieses Ergebnis nicht gefiel, war der Meister. Er wurde sehr ärgerlich angesichts dieses absichtlichen Versagens seines dreisten Dieners. „MATREUS“, rief er wütend aus, „ich hatte dich angewiesen, ihn zu vereisen. Woran hast du gedacht?“ Matreus zuckte zusammen. Kleinlaut und ängstlich stellte er sich Zanrelots Frage. „Ich... ich habe daran gedacht, dass nichts passieren soll“, gab er verschüchtert zu.

Zanrelot schnaubte. Mit einer kurzen Geste schickte er Jona hinaus. Als er gegangen war, wandte er sich wieder an Matreus, der mittlerweile mit eingezogenem, gesenktem Kopf vor der Plattform stand. Der Meister nahm den Rohrstock zur Hand. „Du hast dich meiner Anordnung widersetzt und das sogar absichtlich. Du weißt, was dir nun blüht.“ „Ja Meister“, sagte der Junge beinahe tonlos.

Die Prügel, die nun folgten, steckte Matreus ein, ohne einen Laut von sich zu geben. Er hatte das Gefühl, Zanrelot schlug härter zu als sonst, doch er wusste auch, dass er diese Strafe wirklich verdient hatte. Und einige kräftige Rohrstockhiebe waren ihm allemal lieber als das, was ihm für ein eventuelles Versagen geblüht hätte. Nachdem die Bestrafung beendet war, schickte Zanrelot Matreus hinaus.

In den nächsten Tagen folgten keine weiteren Unterrichtsstunden gemeinsam mit Jona und Matreus war darüber nicht unglücklich. Er hoffte sehr, sich nicht wieder an so etwas versuchen zu müssen, denn er wusste genau, er würde wieder ganz genauso handeln.



Teil 4

Matreus war gerade damit beschäftigt, Jonas Kammer in Ordnung zu bringen. Er hasste es, das Zimmer seines Cousins aufzuräumen und zu putzen, vor allem, da dieser überhaupt keinen Wert darauf legte, irgendetwas dorthin zurückzulegen, wo es eigentlich hingehörte. Doch wozu auch, er hatte ja jemanden, der dies für ihn erledigte. Matreus seufzte. In manchen Wochen verbrachte er Stunden damit, in Jonas Zimmer Ordnung zu schaffen. Stunden, die er lieber zum Üben von Zaubern oder auch einfach mal zum Ausruhen nutzen könnte. Doch so etwas wurde ihm nicht gewährt. Er war nun mal der Diener und hatte diese erniedrigende, unangenehme Arbeit zu erledigen. An der Selbstverständlichkeit dieser Tatsache hatte Zanrelot noch nie auch nur den geringsten Zweifel aufkommen lassen.


Als Matreus eine kurze Pause einlegte und auf die Uhr sah, erschrak er. Die nächste Lehrstunde mit dem Meister hatte bereits vor zwei Minuten begonnen. Matreus lies alles stehen und liegen und rannte so schnell er konnte in die Zentrale. Sein Meister erwartete ihn ungeduldig. Matreus wurde mit einem äußerst ärgerlichen Blick begrüßt. Er schluckte und senkte schuldbewusst den Blick. Verspätungen und undiszipliniertes Verhalten hatte Zanrelot noch nie geduldet. „Du kommst du spät!“, stellte der Meister streng fest. Matreus wusste nicht, was er antworten sollte. Jede Rechtfertigung würde ihm noch mehr Ärger einhandeln und eine Entschuldigung würde ihm auch nicht wirklich helfen. Er entschied sich dafür, schweigend auf seinem Platz zu verharren. Zanrelot räusperte sich kurz. „Nun, die Strafe dafür wirst du später verbüßen.“ Matreus nickte leicht.


Als Zanrelot sich von ihm abwandte, atmete Matreus erst einmal auf. Natürlich war ihm bewusst, dass die Strafe nur aufgeschoben war und garantiert noch vollzogen wurde, doch für den Moment war er erleichtert.

Zanrelot ließ Matreus ein wenig schmoren. In den nächsten Minuten beachtete er den Jungen gar nicht. Matreus war ziemlich unwohl dabei, so untätig und wartend vor der Plattform stehen zu müssen, ohne zu wissen, was auf ihn zukommen sollte. Er empfand es als ziemlich grausam, dermaßen ignoriert und missachtet zu werden. Doch er wagte es auch nicht, irgendetwas zu fragen. So stand er minutenlang herum und wurde immer unsicherer.

Plötzlich stand Zanrelot von seinem Stuhl auf, drehte sich zu dem Jungen um und sagte, als wäre er gerade erst zur Tür hereingekommen: „Lass uns mit dem Unterricht beginnen.“ Matreus war froh, endlich wieder wahrgenommen zu werden. Zwar brachte diese Verzögerung seinen gesamten Tagesplan aus dem Konzept, doch er freute sich dennoch, dass der Unterricht endlich losging. „Ja Meister“, sagte er freudig.


Zanrelot machte eine kurze Handbewegung und schon erschienen auf der Plattform zwei Echsen. Matreus sah seinen Meister fragend an. Dieser nahm eine Echse auf die Hand und streichelte ihren Kopf beinahe liebevoll. „Die heutige Lektion lautet ‚Wie versteinere ich ein Lebewesen‘.“ Matreus verstand. Er sollte diese Echsen versteinern. Im allerersten Moment musste er ein wenig lachen. Ihm kam in den Sinn, wie es wohl gewesen wäre, Jona zu versteinern. Doch ein Blick in die Augen seines Meisters verriet ihm, dass er damit besser nicht spaßen sollte. Zanrelot hatte sich tatsächlich überlegt, Jona dafür zu „verwenden“. Doch ein Gespräch mit seinem Sohn brachte ihn von diesem Gedanken ab. Jona hatte seine Bedenken geäußert, aber, anders als beim letzten Mal, in angemessener, respektvoller Weise. So kam es, dass sein Vater ihm tatsächlich zuhörte und schließlich nachgab. Außerdem hatte er seinen Plan ein wenig verändert und dafür konnte und wollte er Jona nicht missbrauchen, seinen Sohn, sein eigen Fleisch und Blut. Niemals würde er ihm so etwas antun. Nun mussten also die Echsen als Versuchskaninchen herhalten.


„Der Zauberspruch zur Versteinerung lautet ‚curiae mess‘. Wie bei jedem anderen Zauber ist es auch hierbei wieder wichtig... Nein, ich möchte nicht alles immer so oft wiederholen müssen. Matreus, erkläre mir, was beim Zaubern zu beachten ist“, begann Zanrelot den Unterricht. Matreus überlegte kurz. Er musste sich immer sehr bemühen, alles zu behalten, was ihm der Meister erklärte. Das fiel ihm zugegebenermaßen häufig schwer. „Ähm... Also, man muss sich sehr konzentrieren“, erklärte Matreus zögerlich. Er bemerkte, dass Zanrelot bereits ein wenig ungeduldig wurde, also fuhr er schnell fort. „Es ist wichtig, dass man sich darauf konzentriert, was man mit dem Lebewesen machen will. Man darf nur daran denken und an nichts anderes. Und wenn man sich gerade am Meisten konzentriert, dann kann man loszaubern.“ Matreus war recht zufrieden mit seiner Erklärung. Zanrelot runzelte die Stirn. „Nun gut, die Theorie scheinst du ja einigermaßen begriffen zu haben. Dann wollen wir mal sehen, wie es um die Praxis bestellt ist.“


Zanrelot setzte die Echse auf dem Boden ab. „Curiae mess, Matreus, vergiss das nicht. Das ist kein einfacher Zauber, also gib dir Mühe.“ Matreus nickte eifrig. „Ja Meister.“ Er zückte seinen Zauberstab und zielte damit auf eine der Echsen. Er konzentrierte sich ganz auf das Tier und darauf, dass es zu Stein werden sollte. Dann sprach er die Worte „Curiae mess“ laut aus. Ein grüner Strahl traf auf die Echse, die sofort leblos am Boden liegen blieb.


Zanrelot nahm sie in die Hand und begutachtete sie. „Du hast sie getötet, nicht versteinert“, stellte er kühl fest. Matreus verzog erschrocken das Gesicht. „Was? Aber... Aber ich habe doch alles so gemacht, wie...“, stotterte er los. Der Meister schüttelte den Kopf. „Möglich, aber du hast dich nicht genug konzentriert. Das habe ich erwartet. Deshalb ja die zweite Echse. Also los.“ Zanrelot nickte auffordernd in Richtung des Tieres.


Doch Matreus fixierte immer noch die tote Echse in Zanrelots Hand. Er hatte soeben ein unschuldiges Lebewesen getötet, weil er nicht konzentriert genug gewesen war. Noch nie hatte er so etwas getan. Und nun sollte er es gleich noch einmal versuchen und womöglich denselben Fehler wieder machen. Matreus wollte diese zweite Echse nicht töten. Er war hin- und hergerissen zwischen seinen Skrupeln und dem Drang, dem Meister zu gehorchen. Unschlüssig sah er Zanrelot an. Dieser durchbohrte ihn förmlich mit seinem Blick, als er ihn ansprach. „Ich hätte es wissen müssen. Du bist viel zu verweichlicht. Und genau aus diesem Grund wirst du diesen Zauber jetzt auch wiederholen. Und zwar sofort“, sagte der Meister in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Matreus hatte keine Wahl. Er nickte nur und richtete gehorsam seinen Zauberstab auf die zweite Echse. Er zitterte vor Anspannung. Niemals würde er dieses Tier töten wollen! Er wollte diesen Zauber nicht ausführen, doch er musste. Er musste seinem Meister gehorchen, egal, wie es ihm selbst dabei erging. Eine Träne rann über seine Wange, als er begann, sich zu konzentrieren. Matreus sprach die Formel und gab einen Schuss ab. Auch diese Echse starb, ohne zu Stein zu werden.


Traurig ließ Matreus den Kopf sinken. Seine Augen füllten sich mehr und mehr mit Tränen, die er niemandem zeigen wollte. Zanrelot lies das völlig kalt. Ungerührt trat er an den Jungen heran. „Der Unterricht ist beendet. Du hast heute viel gelernt.“ Matreus sah auf. Er verstand nicht, was sein Meister meinte, schließlich hatte er doch versagt. Er konnte sich nicht erklären, warum Zanrelot ihn so zufrieden anblickte. Der Meister kam Matreus‘ Frage zuvor. „Du wirst es mit der Zeit verstehen. Und jetzt geh an deine Arbeit.“ Zanrelot wandte sich bereits ab, als Matreus noch „Ja Meister“ sagte. Ohne weitere Nachfragen begab er sich wieder in Jonas Zimmer, um dort weiter aufzuräumen. Doch die beiden Echsen, die er getötet hatte, verfolgten ihn noch lange.


Zanrelot setzte sich derweil zufrieden auf seinen Stuhl. Er schmunzelte leicht, als er von sich hinmurmelte. „Der Junge wird mir noch sehr nützlich sein.“ Matreus hatte ihm soeben bewiesen, dass sein Gehorsam höher steht, als irgendwelche Skrupel. An diesem Tag waren es nur zwei Echsen gewesen, die er getötet hatte. Doch mit einem solchen Diener, der einen dermaßen absoluten Gehorsam zeigt, auch wenn es ihm selbst dabei das Herz zerreißt, könnte Zanrelot seine grausamen Pläne, die er für die Zukunft hatte, problemlos durchziehen. Matreus hatte diesen grausamen Test bestanden.




Teil 5
 

„Was hast du schon wieder angestellt!?“ Zanrelot bebte vor Wut. Wie ein Tiger ging er auf der Plattform auf und ab. Immer wieder sah er auf seinen Tisch, dann wieder auf den Jungen, der es nicht wagte, ihn anzusehen. „Ich sollte dir eine ordentliche Tracht Prügel verpassen für deine Unachtsamkeit.“ Er musterte den Jungen abfällig. „Nein, nicht ich sollte, ICH WERDE!“

 

Zanrelot ergriff den Rohrstock und ging auf Matreus zu, der wie ein Häufchen Elend zitternd vor der Plattform stand. Dermaßen wütend hatte er seinen Meister bisher nur sehr selten erlebt und wenn, dann endete das immer mit kaum erträglichen Schmerzen für ihn. Matreus zitterte am ganzen Körper. Er wusste genau, er hätte besser aufpassen müssen, doch nun war es geschehen und das konnte er nicht mehr ändern. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, als Zanrelot mit dem Rohrstock in der Hand auf ihn zukam. Normalerweise ließ Matreus die Prügel immer widerstandslos über sich ergehen, eine andere Wahl hatte er auch nicht. Doch sollte es jetzt soweit kommen, würde er wochenlang nicht schmerzfrei sitzen können, das wusste er aus Erfahrung.

 

An jedem anderen Tag hätte Matreus es nicht gewagt, in diesem Moment den Mund aufzumachen. Er wäre hinüber gegangen zum Tisch und hätte die Strafe hingenommen. Doch nun war es egal, was er tat. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, die Anzahl der Hiebe würde sich erhöhen, was bei der Heftigkeit in Zanrelots jetzigem Zustand auch schon nichts mehr an der Wirkung ändern würde, oder aber der Meister würde sich besänftigen lassen. So beschloss Matreus, tatsächlich etwas zu sagen.

 

Er hob vorsichtig den Kopf, den er jedoch weit eingezogen hatte. Furchtsam blickte er auf den Rohrstock, anschließend in Zanrelots grün schimmernde Augen. „M... Meister, bitte, i... ich habe d... das doch nicht mit ... Absicht getan“, stotterte er los. Zanrelots Blick verfinsterte sich noch mehr. „DAS WÄRE JA AUCH NOCHMAL SCHÖNER!!!“, brüllte er dem Jungen entgegen, der erschrocken und ängstlich zurückwich. „Bitte Meister... bitte verzeiht, ich... ich...“ Matreus Kehle schnürte sich immer weiter zu. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Zanrelot trat von der Plattform herunter und kam immer näher auf Matreus zu. Dieser wagte es nicht mehr, sich weiter zu bewegen. Als Zanrelot direkt vor ihm stand, flüsterte der Junge nur ganz leise. „Bitte... bitte Meister, seid gnädig.“

 

Zanrelot musterte seinen jungen Diener, der vor Furcht zitternd, völlig in sich zusammengeschrumpft und den Blick auf den Boden gerichtet vor ihm stand. Ein wenig befriedigte den Meister dieser Anblick. Die Macht, die er über diesen Jungen hatte, kostete er förmlich aus. Er blieb eine Weile so vor ihm stehen und ließ ihn völlig im Unklaren darüber, was nun geschehen würde. Matreus bewegte sich kein Stück vom Fleck. Er wagte es kaum noch, überhaupt zu atmen.

 

Schließlich wandte sich Zanrelot von ihm ab und ging zurück auf die Plattform. Matreus verfolgte aus den Augenwinkeln jede Bewegung seines Meisters. Dieser machte nur eine kleine Geste und schon trat Matreus wieder an seinen ihm angestammten Platz vor der Plattform heran.

 

Zanrelot ging derweil zum Tisch, legte den Rohrstock ab und nahm das Buch zur Hand, über das Matreus am Morgen versehentlich seinen Kakao verschüttet hatte. Es war ein sehr altes, wertvolles Zauberbuch, das der Meister seinem Diener zum Studieren geliehen hatte. Die Wut, die gerade leicht am Abklingen gewesen war, keimte sofort wieder neu auf, als Zanrelot die verklebten Seiten begutachtete. Er war drauf und dran, sich Matreus zu schnappen und ihm wirkliche Prügel zu verpassen, ohne Rohrstock. Er ballte die Fäuste und schlug damit heftig auf den Tisch, sodass das Buch und der Rohrstock darauf kurz abhoben. Matreus zuckte ängstlich zusammen. War Zanrelot erst einmal dermaßen in Rage, konnte er ihn nicht mehr einschätzen.

 

„Komm her“, befahl der Meister eisern. Matreus schluckte schwer, als er die Plattform betrat und zum Tisch ging. „Sieh mich an“, sagte der Meister streng. Matreus hob zögerlich den Blick und sah völlig verängstigt in die Augen seines Meisters. „Du hast mich durch deine Unachtsamkeit einmal mehr sehr verärgert, Matreus.“ Zanrelot atmete tief durch, ehe er fortfuhr. „Ich habe beschlossen, dir die Möglichkeit zu geben, die Prügel, die dir zweifelsohne zustehen, abzuarbeiten.“ Matreus war verwirrt. Er verstand nicht, worauf sein Meister hinauswollte. Zanrelot nahm das Buch in die Hand. „Ich gebe dir einen Versuch, das Buch wiederherzustellen. Einen Einzigen, hörst du? Sollte es dir nicht auf Anhieb gelingen, wirst du hier und gleich deine wohlverdienten Prügel einstecken, und zwar ohne zu winseln und zu betteln. Ist das klar?“

 

Matreus nickte stumm. Der Meister gab ihm also die Möglichkeit, um die Prügel herumzukommen. Das war jedenfalls besser als nichts. Doch ob er sich tatsächlich auf einen Zauber konzentrieren könnte, bei der Furcht, die er hatte, davon war Matreus selbst nicht überzeugt.

 

Zanrelot sah Matreus fest in die Augen. Eigentlich hatte er nicht wirklich vor, den Jungen ungeschoren davonkommen zu lassen. Doch nun hatte er sein Angebot ausgesprochen und er würde sich daran halten. So berechnend, kalt und hart er auch war, sein Wort brach er niemals. „Der Spruch lautet ‚liber purgare‘. Und jetzt fang an, wenn du kannst.“ Zanrelot verunsicherte Matreus absichtlich. Er wollte ihn nervös machen und unter Druck setzen. Dass das gar nicht mehr nötig war, fiel ihm sicher auf, doch es war ihm egal. Er rechnete fest damit, dass Matreus versagen würde.

 

Matreus atmete tief. Er wusste, dass dies seine einzige Chance war, der äußerst harten Strafe seines Meisters zu entgehen. Er hatte mit seinen 12 Jahren wahrlich schon viel einstecken müssen, doch immun war er gegen Schmerzen sicher nicht. Es war jedes Mal wieder erniedrigend und absolut schmerzhaft. Deshalb legte er es ganz sicher auch nicht darauf an. Matreus schloss lange die Augen. Die antreibenden Worte seines Meisters raubten ihm beinahe jegliche Konzentrationsfähigkeit. In Matreus‘ Kopf setzte sich bereits das Bild der kommenden Bestrafung fest.

 

Doch dann tat er, was er früher als kleines Kind schon immer getan hatte, wenn sein Vater ihn mal wieder verprügelte. Lange Jahre hatte er es nicht mehr getan. Zanrelot hatte dieses Verhalten schnell durchschaut und ihm ausgetrieben. Aber nun war der Zeitpunkt gekommen, diese Fähigkeit wieder einzusetzen. Matreus schloss die Augen so fest er konnte. Er dachte an rein gar nichts. Er blendete alles um sich herum aus, schaltete auf Durchzug und bekam nichts mehr mit, was in seiner Umgebung geschah. Er befand sich wie in Trance, als er schließlich die Augen öffnete, das Buch fest fixierte und deutlich „liber purgare“ aussprach. Eine Magiekugel entfuhr aus dem Zauberstab und umfing das wertvolle Buch. Matreus blieb beinahe das Herz stehen bei diesem Anblick. Hatte er das Buch nun vollständig zerstört? Ein paar Sekunden später verschwand der grüne Schimmer. Das Buch lag auf dem Tisch, äußerlich hatte es sich kein bisschen verändert.

 

Matreus seufzte leise und ließ traurig den Kopf hängen. Alle Anstrengung war umsonst gewesen. Er hätte nun gerne angefangen zu betteln und zu flehen. Doch Zanrelot hatte ihm untersagt, noch einmal um Gnade zu bitten, sollte er den Zauber nicht hinbekommen. So erwartete er gefügig seine Strafe.

 

Zanrelot erhob sich aus seinem Stuhl, auf dem er sich zwischenzeitlich niedergelassen hatte. Er nahm das Buch an sich und blätterte darin. Fast ein wenig enttäuscht legte er es zurück auf den Tisch. Er ergriff den Rohrstock und musterte diesen eine Weile. Dann drehte er sich um, damit Matreus nicht in sein Gesicht sehen konnte. „Du kannst gehen“, sagte er knapp, aber deutlich.

 

Matreus hob überrascht den Blick. Er durfte gehen? Kurz fixierte er das Buch, dann wurde ihm klar, dass er es geschafft haben musste. Er hatte dieses Buch magisch gesäubert. Ungläubig starrte er auf den Rücken des Meisters. Hatte er sich eben verhört?

 

Zanrelot spürte, dass Matreus noch immer nicht gegangen war. Er wurde etwas ärgerlich. „Nun geh endlich, ehe ich es mir doch noch anders überlege!“, raunte er den Jungen an. Matreus wurde sogleich aus seiner Starre gerissen. „Ja Meister“, sagte er schnell. Dann machte er sich eilig auf den Weg zur Tür. Als er kurz davor war, hinauszutreten, hielt er kurz inne. Matreus drehte sich noch einmal um. Zanrelot stand immer noch unverändert an seinem Tisch. „Vielen Dank, Meister“, sprach er, ehe er die Zentrale schließlich endgültig verließ.



Teil 6
 

„Matreus“, rief der Meister seinen Diener herbei. Der Junge, der soeben das Stadtmodell Lübecks entstaubte, steckte das Staubtuch weg und trat an die Plattform heran. „Ja Meister?“ Zanrelot erhob sich langsam und stand etwas unschlüssig vor Matreus. „Wie weit bist du mit deinen Aufgaben?“, fragte er schließlich. Matreus war froh, dass er gerade an diesem Tag sehr gut im Zeitplan lag. Der Meister fragte sonst nie danach, wie es um seine Arbeit bestellt war. Ihm fiel es höchstens auf, wenn Matreus etwas vergessen oder falsch gemacht hatte. „Ich bin fast fertig für heute, Meister. Ich muss nur noch das Stadtmodell fertig entstauben und mich dann um das Abendessen für Jona und mich kümmern“, berichtete der Junge. Zanrelot nickte. „Gut, sobald du mit dem Modell fertig bist, erwarte ich dich in der Bibliothek.“ Matreus wunderte sich über diesen ungewöhnlichen Befehl. Was wollte der Meister in der Bibliothek von ihm? Doch da er dies sowieso bald erfahren würde, fragte er nicht weiter nach. Mit einem kurzen „Ja Meister“ machte er sich wieder an das Stadtmodell, während Zanrelot die Zentrale verließ.

 

Eine halbe Stunde später stand Matreus nervös vor der Tür der Bibliothek. Die ganze Zeit über hatte er nur daran denken können, was sein Meister vorhatte. Nun würde er es gleich erfahren. Zögerlich klopfte er an. „Komm rein“, schallte es von drinnen heraus. Matreus betrat langsam den Raum. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass auch Jona anwesend war. Zanrelot war gerade damit beschäftigt, in einem dicken Buch zu blättern. Er sah nicht auf, als Matreus eintrat. Beschäftigt hob er nur ganz kurz die Hand ein kleines Stück. „Setz dich.“ Der Junge tat, was ihm gesagt wurde und nahm am Tisch gegenüber von Jona Platz. Zanrelot saß am Kopf des Tisches, links und rechts von ihm die beiden Jungen, wie es von Anfang an immer der Fall gewesen war. Matreus warf Jona einen verwirrten, fragenden Blick zu. Doch Jona zuckte selbst nur ahnungslos mit den Schultern.

 

Erst eine gefühlte halbe Ewigkeit später klappte der Meister das Buch zu. Er sah beide Jungen abwechselnd an, die seinen Blick aufmerksam und erwartungsvoll erwiderten. Zanrelot erhob sich und legte die Hände ineinander, das Zeichen dafür, dass etwas sehr Wichtiges anstand. „Ich habe eine wichtige, aber auch sehr gefährliche Aufgabe euch beide.“ Der Meister atmete noch einmal tief durch, dann fuhr er fort. „Für meinen neuen Plan, Lübeck zu erobern, benötige ich ein ganz spezielles magisches Artefakt. Dieses befindet sich im Tower von London. Ich werde euch dabei helfen, dorthin zu gelangen, dann seid ihr auf euch allein gestellt.“ Zanrelot blickte Jona stolz an. „Das ist deine Gelegenheit mir zu zeigen, was in dir steckt, mein Sohn. Ich weiß, du wirst mich nicht enttäuschen.“ Jona war ein wenig verunsichert. Noch nie hatte er einen so gefährlichen Auftrag erhalten. Zanrelot schien die Unsicherheit seines Sohnes bemerkt zu haben, denn er redete beruhigend auf ihn ein. „Mit etwas Mut und Geschick ist das ein Kinderspiel. Jonathan, du trägst mein Blut in dir, du wirst nicht versagen.“ Jona lächelte etwas gequält. Er wusste, welch große Herausforderung auf ihn zukam und er hatte Angst davor. Doch seinem Vater gegenüber hätte er das niemals zugegeben. Stattdessen erwiderte er: „Ja Vater, ich werde mich würdig erweisen, mich dein Sohn nennen zu dürfen.“ Zanrelot nickte und lachte zufrieden.

 

Matreus hörte den Worten der beiden traurig zu. Er wusste, dass er in den Augen des Meisters niemals so viel wert sein würde wie Jona. Er war eben nur sein Neffe und nicht mal als solcher wurde er behandelt. Er durfte froh sein, überhaupt geduldet zu werden. Einen richtigen Vater hatte er im Grunde genommen noch nie gehabt. Sein Blick senkte sich langsam und setzte sich auf dem Tisch fest. Erst als Zanrelot ihn ansprach, wurde er aus seinen trüben Gedanken geholt. „Matreus, hör gefälligst zu, wenn ich mit dir spreche.“ Die Stimme des Meisters klang plötzlich ganz anders, als noch vor wenigen Sekunden, als er noch mit seinem Sohn sprach. Matreus sah ihn reumütig an. „Tut mir leid, Meister.“ Zanrelot schüttelte nur den Kopf. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich jetzt um diese Lappalie zu kümmern. „Ja ja, schon gut. Es gibt Arbeit, wie du sicher mitbekommen hast. Jona wird für mich ein einzigartiges Artefakt besorgen. Und du wirst ihm dabei helfen.“ Der Meister ließ dem Jungen einen kurzen Augenblick, um diese Information zu verdauen. Matreus und Jona warfen sich einen irritierten Blick zu. Dann erklärte Zanrelot weiter. „Jona wird einen Plan ausarbeiten, nach dem ihr vorgehen werdet. Inwieweit du dabei eine Rolle spielst und was du dabei zu tun hast, entscheidet mein Sohn. Du wirst seine Anweisungen strikt befolgen, wie du meine befolgst. Das ist deine Aufgabe. Ist noch irgendetwas unklar?“ Zanrelot blickte Matreus auffordernd an. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein Meister, ich habe alles verstanden.“

 

Eine Weile später standen Jona und Matreus auf der Plattform in der Zentrale vor Zanrelot, um letzte Anweisungen zu erhalten. Er erklärte ihnen, wie sie zum Tower nach England gelangen. Alles andere hatte er Jona überlassen. Er sah die beiden Jungen noch einmal eindringlich an. „Mach keinen Unsinn da oben“, sagte er freundlich zu Jona, der ihm daraufhin zunickte. Für Matreus hatte der Meister nur einen abfälligen Blick übrig. Doch dieser machte sich nichts daraus. Es war es gewohnt, kaum beachtet zu werden, das fiel ihm weiter gar nicht mehr groß auf.

 

Jona und Matreus machten sich auf den Weg nach oben. Sie sprachen die Formel, die Zanrelot ihnen soeben beigebracht hatte, und landeten tatsächlich mitten in London. Sofort versteckten sie sich hinter ein paar Büschen. London war eine große und wunderschöne Stadt. Die Jungen waren sehr beeindruckt von den hohen Gebäuden, den feinen Leuten, die auf der Straße unterwegs waren und den protzigen Kutschen, die auf der Straße entlang fuhren. Doch sie sahen auch andere Dinge. Straßenkinder, die als Bettler durch die Gassen zogen oder den reichen Leuten die Geldbörsen stahlen. Ein Junge, ungefähr in Matreus‘ Alter, wurde gerade verhaftet und mit Gewalt mitgezerrt. Auf der anderen Straßenseite vermöbelte ein Vater gerade seinen ungehorsamen, ungefähr 15 Jahre alten Sohn. Und wieder woanders hörte man ein Mädchen um Hilfe schreien.

 

Jona war wie gebannt von all den Eindrücken. Er kannte natürlich Lübeck mit all seinen Licht- und Schattenseiten, doch das hier war wieder etwas ganz anderes. Das hier war London. Auch Matreus war beeindruckt, geschockt und sprachlos gleichzeitig, doch er war der Erste, der sich auf die eigentliche Aufgabe besann. Zaghaft tippte er Jona auf die Schulter. „Jona, sollten wir nicht das Artefakt holen und nach Hause zurückkehren?“ Jona war ihm einen kurzen Blick zu. „Das hast du eigentlich nicht zu entscheiden“, stellte er hochnäsig fest. „Aber du hast ausnahmsweise recht, wir müssen los.“ Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob Matreus folgen konnte, ging er voraus zum Tower. Dort versteckten sich die beiden Jungen, bis es endlich Abend und somit dunkel geworden war. „Gut, es ist dunkel. Also, hier nochmal der Plan: wir zaubern uns da rein, gehen runter in diesen seltsamen Raum, holen das Artefakt raus und transferieren uns nach Hause.“ Jona fand seinen Plan genial. Doch Matreus schüttelte innerlich den Kopf. Jona hatte rein gar nichts genau geplant. Er wusste weder, wo im Tower er landen würde, wenn er die Wand durchschritt, noch, wie er unbemerkt in den Keller gelangen wollte, geschweige denn unbehelligt dieses Artefakt herausholen. „Jona, ähm, sollten wir nicht vielleicht...“, versuchte Matreus etwas zu entgegnen. Doch Jonas Blick entnahm er, dass dieser ihm nicht den kleinsten Widerspruch durchgehen lassen würde. Jona würde jedes seiner Widerworte petzen, ohne jede Rücksicht. So kam es, dass Matreus es für gesünder hielt, zu schweigen.

 

Wenig später betraten die beiden den Tower von England. Sie sahen sich in dem langen, dunklen Gang um. Niemand schien sie bemerkt zu haben. Leise schlichen sie den Gang entlang, bis sie an eine Treppe kamen. Jona gab Matreus ein stummes Zeichen, das bedeutete, er solle voraus gehen und sehen, ob die Luft rein ist. Matreus nickte. Er stieg die ersten Treppenstufen hinab und schielte um die Ecke. Niemand war zu sehen. Er drehte sich um und wollte Jona das Okay geben, nachzukommen, doch Jona war verschwunden. Panisch blickte sich Matreus nach allen Seiten um. Dann erst nahm er Schritte wahr, die sich von ihm entfernten. „Was treibt sich ein Bastard wie du hier nachts im Tower rum? Wir werden sehen, was der Oberaufseher mit dir machen will. Aber erst morgen. Die Nacht darfst du im Kerker verbringen, bei den Ratten!“ Die Wärter, die Jona geschnappt hatten und unsanft abführten, lachten laut.

 

Matreus war wie versteinert. Er konnte es nicht fassen. Was sollte er nun tun? Sollte er in die Unterwelt zurückkehren und dem Meister davon berichten? Doch Matreus entschied sich dagegen. Er würde sicher ihm die Schuld dafür geben und das würde ihm sehr schlecht bekommen. Es gab nur eine Möglichkeit: Matreus musste Jona befreien. Doch vorher wollte er noch das Artefakt besorgen.

 

Auf Zehenspitzen schlich er in den Keller. Er gelangte unbehelligt in den Raum, im dem die alten Relikte und Artefakte gelagert wurden. Leise und vorsichtig suchte er nach dem magischen Hilfsmittel, das der Meister ihm und Jona erklärt hatte. Schließlich fand er es. Das Enigmaion, dessen Zweck Zanrelot den Jungen nicht geschildert hatte, befand sich in einer gesondert abgesperrten Vitrine. Matreus lachte zuversichtlich. Er holte seinen Zauberstab heraus, zielte auf das Vorhängeschloss und gab einen Magiestrahl ab. Das Schloss öffnete sich augenblicklich. Matreus schleuderte seinen Zauberstab triumphierend ein kleines Stückchen durch die Luft. Dann steckte er ihn wieder ein. Das Artefakt nahm er behutsam an sich und verstaute es in der Innentasche seiner Jacke. Dann begab er sich leise zurück in den Gang.

 

Weit musste er nicht gehen, da hörte er schon Jonas Stimme. „Lasst mir raus! Verdammt! Ich will hier raus! Ihr wisst ja gar nicht, wer mein Vater ist!!!“, brüllte der Junge entrüstet. Matreus schüttelte den Kopf über so viel Undiszipliniertheit. Wenn ihm in der Unterwelt etwas beigebracht worden war, dann war das Selbstdisziplin und angemessenes Verhalten. Im Kerker des Tower herumzubrüllen, wo ihn erstens keiner verstehen konnte und zweitens auch ganz sicher niemand herbeieilen würde, war absolut unangemessen und deplatziert. Doch ein wenig kam es Matreus schon zugute. So musste er wenigstens nicht lange nach seinem Cousin suchen. Matreus gingen auf dem Weg zum Kerker sehr viele Gedanken durch den Kopf. Er dachte darüber nach, warum sich Jona nicht einfach nach Hause transferiert hatte. Doch diese Frage beantwortete sich eigentlich von selbst. Er wollte Zanrelot, seinen Vater, nicht enttäuschen. Jedoch hätte er diesen Kerker aus eigenen Kräften verlassen können. Schließlich hatte auch Jona Magie und er konnte sehr viel besser damit umgehen als Matreus. Aber noch bevor er länger darüber nachdenken konnte, fand sich Matreus schon vor dem Eingang zum Kerker wieder. Dieser war dermaßen stark mit Ketten und Barrieren verhängt, dass Wachen gar nicht nötig waren. Matreus schloss die Augen, konzentrierte sich und trat schließlich durch die geschlossene Tür in den Kerker ein.

 

Jona blieben seine Rufe förmlich im Hals stecken. Im ersten Moment hätte er Matreus um den Hals fallen können, doch dann besann er sich seiner Position. Er musterte seinen Cousin kurz. „Du hast lange gebraucht. Jetzt lass uns gehen, das Artefakt holen. Und dann verschwinden wir von hier.“ Jona wollte gerade gehen, da hielt ihn Matreus auf. „Warte.“ Er zog das Enigmaion aus der Tasche und hielt es Jona hin. „Hier, ich habe es schon geholt.“ Jona riss Matreus das wertvolle Stück aus den Händen. „Gib das her!“, zischte er den Jüngeren an. Es war offensichtlich, dass es ihm nicht recht war, dass Matreus seine Aufgabe für ihn erfüllt hatte. Aus Jonas Sicht durfte das sein Vater niemals erfahren. „Du wirst Vater davon nichts erzählen. Hörst du?“, sagte er zornig. Matreus schüttelte den Kopf. Ihm war schon vorher klar gewesen, worauf das hinauslaufen würde. Und natürlich hatte er nicht vor, das Lob für ‚Jonas Verdienst‘ einzuheimsen. „Nein Jona, natürlich nicht. Du wirst ihm das Ding bringen und das ist doch sowieso alles, was zählt.“ Für Matreus war klar, dass Zanrelot nicht nach den Umständen der Suche fragen würde. Er bekam das gewünschte Artefakt, das genügte. Jona wirkte erleichtert über Matreus‘ Antwort. „Dann lass uns jetzt nach Hause gehen“, befahl er.

 

Jona und Matreus transferierten sich direkt in die Zentrale. Zanrelot saß an seinem Tisch und las. Als die beiden Jungen ankamen, stand er auf und wandte sich sofort seinem Sohn zu, der auf ihn zukam. „Jonathan, mein Sohn! Sag, hast du deine Aufgabe erfüllt?“ Jona präsentierte seinem Vater stolz das Artefakt. Zanrelot begutachtete es. Er strich mit der Handfläche darüber und murmelte ein paar unverständliche Worte. Dann sah er wieder seinen Sohn an. „Gab es irgendwelche Zwischenfälle oder besondere Vorkommnisse?“, fragte er, während er das Enigmaion vorsichtig auf dem Tisch ablegte. Jona zögerte kurz. Er warf einen Seitenblick auf Matreus, doch dann sagte er trocken: „Nein Vater.“ Zanrelot schien zufrieden. Er nickte in Richtung Matreus. „Gut, hat er sich anständig benommen?“ Jona wurde ein wenig unsicher. Zanrelot sprach in einem so abfälligen Tonfall über Matreus, dabei war er es gewesen, der diese Aufgabe eigentlich gelöst hatte. Doch er wollte sich auf keinen Fall die Blöße geben, zuzugeben, dass der Diener es geschafft hatte und nicht er selbst, der Sohn Zanrelots. Noch mehr sogar, dass dieser Diener ihn auch noch gerettet hatte. Deshalb konnte er sich nicht durchringen, seinem Vater die Wahrheit zu sagen. „Ja Vater, er hat meine Anweisungen befolgt, wie du es ihm aufgetragen hast.“ Der Meister nahm unbeeindruckt das Artefakt wieder zur Hand. Er übergab es Jona. „Du, mein Sohn, hast dieses wertvolle Stück besorgt, also wird dir auch die Ehre zuteil, es sorgfältig zu verstauen. Suche einen geeigneten Platz dafür.“ Jona strahlte übers ganze Gesicht, als er sich auf den Weg nach draußen machte.

 

Matreus hingegen stand immer noch in der Zentrale, genau dort, wo er vor einigen Minuten angekommen war. Er hatte zwar genau gewusst, wie die Übergabe des Artefakts ablaufen und dass er dabei keine Rolle spielen würde, es traf ihn dennoch tief, dass sein Anteil an dem Erfolg rein gar nicht beachtet wurde. Nicht einmal einen Funken Anerkennung hatte er abbekommen. Zanrelot hatte ihn noch nicht entlassen, deshalb verharrte Matreus in der Zentrale. Viel lieber wäre er jetzt in seiner Kammer traurig aufs Bett gesunken.

 

Zanrelot hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt und las weiter in seinem Buch. Nach einer kurzen Weile sah er auf und blickte den niedergeschlagenen, traurigen Jungen an. Der Herrscher der Finsternis klappte sein Buch zu. „Matreus“, sagte er ruhig. „Ich kenne deinen Anteil an diesem Erfolg. Du hast dich deiner Stellung mehr als würdig erwiesen.“ Matreus sah auf. Er war sichtlich verwirrt. Zanrelot erhob sich und trat näher an ihn heran. „Du hast dich so verhalten, wie ich es von einem guten Diener erwarte.“ Er legte eine kurze Pause ein, um den Jungen das Gesagte verarbeiten zu lassen. „Bleibt zu hoffen, dass es in diese Richtung weitergeht, Matreus“, fügte er ernst hinzu.

 

Matreus war den Tränen nahe. Der Meister hatte in den letzten beiden Jahren nie so freundliche Worte für ihn übrig gehabt. Und allem Anschein nach wusste er, was in London wirklich geschehen war. Matreus war selten so erleichtert und froh gewesen, seit er in der Unterwelt lebte.

 

Zanrelot blickte den Jungen, der kein einziges Wort erwidern konnte, weiter an. Doch er wollte dieses Thema auch nicht weiter vertiefen. Er hatte seinem Diener eben schon mehr Anerkennung geschenkt, als ihm eigentlich zustand. Nur, weil er so etwas wie Mitleid für diesen niedergeschlagenen Jungen empfand. Innerlich schüttelte er schon wieder den Kopf darüber, wie weich er manchmal doch war. Aber andererseits musste er zugeben, dass dieser Junge, der da vor ihm stand, so etwas wie Ehre und Stolz besaß. Etwas, das seinem eigenen Sohn leider fehlte und das er wohl nie wirklich erlangen würde. Und genau aus diesem Grund hatte Matreus es verdient, diese Worte zu hören. Zanrelot war sich auch zu mindestens 100% sicher, dass der Junge dieses Gespräch niemals an Jona weitergeben würde. So etwas sah ihm nicht ähnlich.

 

Doch nun war es an der Zeit, zum geregelten Tagesablauf zurückzukehren. Er machte eine auffordernde Geste. „Nun, ich denke, es wird Zeit fürs Abendbrot.“ Matreus nickte zustimmend. „Ja Meister, ich mache mich sofort an die Arbeit.“ Dann begab er sich in die Küche und bereitete das Abendessen vor. Die anerkennenden Worte, die sein Meister für ihn gefunden hatte, behielt er in seinem Herzen.


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