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Matreus
Begegnung mit Folgen




Begegnung mit Folgen



Teil 1
 
Matreus war auf einem Rundgang an der Oberfläche unterwegs. Er hatte den Auftrag, die Wächter auszuspionieren, da Zanrelot vermutete, sie könnten einen neuen Plan schmieden. Nachdem die Kinder zu Hause nicht aufzufinden waren, beschloss Matreus, seine Aufgabe ein wenig ruhen zu lassen. Er ging zum Krähenteich und setzte sich ans Wasser. Lange genoss er die warmen Sonnenstrahlen, den kühlenden Wind und die frische Luft. Matreus beobachtete die Menschen, die vorüberzogen. Viele Pärchen waren an diesem Tag unterwegs. Die Meisten gingen Händchen haltend durchs Gras, einige schmiegten sich eng aneinander und wieder andere küssten sich leidenschaftlich. „Bäh, wie widerlich“, murmelte er vor sich hin. Er hatte gelernt, Liebe und Freundschaft zu hassen, genauso wie alle sonstigen positiven Gefühle. Angewidert stand er auf, ging ein Stück den Teich entlang, bis er alleine war, und drehte sich schließlich zurück in die Unterwelt.

In der Zentrale wurde er bereits erwartet. Matreus wusste, dass er die Anweisungen seines Meisters missachtet hatte. Nicht einmal eine Notlüge hatte er vorbereitet. Unsicher stellte er sich an seinen Platz auf der Plattform und schwieg. Zanrelot sah ihn erwartungsvoll an. Ärgerlich über das Verhalten seines Dieners fauchte er Matreus an. „Hast du mir nicht etwas zu erzählen?“ Matreus schluckte. Natürlich hatte er nichts zu erzählen, jedenfalls nichts, was den Meister zufrieden stellen würde. Er senkte ein wenig den Blick. „Nein Meister, bitte verzeiht, die Wächter waren nicht zu Hause und...“ Weiter kam er nicht. Zanrelot packte ihn grob am Kragen und flüsterte bedrohlich leise. „Du wirst jetzt sofort wieder nach oben gehen und zusehen, dass du meinem Befehl nachkommst. Wage es nicht, mich noch einmal zu enttäuschen, oder du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein.“ Matreus sah seinen Meister mit angstweiten Augen an. Der riesige Kloß in seinem Hals hinderte ihn am Sprechen, er konnte nur nicken. Matreus taumelte ein Stück zurück, als Zanrelot ihn unvermittelt losließ. „Geh!“, brüllte Zanrelot seinen Diener an. Matreus verließ daraufhin eiligst die Zentrale.

Erst einige Gänge weiter wagte er es, stehen zu bleiben und durchzuatmen. „Puh, das ging ja gerade nochmal gut. So etwas darf mir nicht noch einmal passieren.“ Nachdem er sich wieder gesammelt hatte, machte er sich auf zurück an die Oberfläche.

Matreus sah sich um. Die Wächter waren noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt. Es war Nachmittag und die Sonne stach vom Himmel. „Wahrscheinlich sind die im Schwimmbad. Verdammt, das sehen die doch, wenn ich dort auftauche.“ Matreus stellte sich darauf ein, nicht so bald wieder zurück in die Unterwelt gehen zu können. Ohne einen Bericht würde er es nicht noch einmal wagen, dem Meister unter die Augen zu treten. Also beschloss er, den Tag einfach ein wenig zu genießen. Bei der vielen Arbeit, die er sonst hatte, war das durchaus auch einmal verdient, befand er. Also ging er zum Hafen, um die ein- und auslaufenden Schiffe zu beobachten. Schon als Kind war er häufig dort gewesen und noch immer faszinierten ihn die großen und kleinen Boote. Er hatte früher oft davon geträumt, selbst Seemann zu werden. Doch in der Unterwelt lernte er schnell, dass Träume keine Zukunft haben, dass sie verschwendete Zeit sind. Und so hörte er eines Tages einfach damit auf, zu träumen.


Teil 2
 
„Hallo, können Sie mir helfen? Ich suche die Musikschule.“ Matreus schreckte hoch. Vor ihm stand eine junge Frau mit langen, braunen Haaren. Sie trug sie offen, sodass sie im Wind wehten. Matreus sah sie eine Weile an. Schon lange hatte er mit keiner Frau mehr gesprochen. „Äh, ja, natürlich. Sie sind hier ganz falsch. Die Musikschule liegt ein ganz schönes Stück in genau der anderen Richtung. Dort entlang.“ Matreus zeigte mit dem Finger auf die Straße. Die Frau blickte in die angezeigte Richtung. „Oh nein. Ich bin spät dran. Wenn ich mich jetzt nochmal verlaufe, werde ich bestimmt gefeuert“, sagte sie traurig. Matreus kümmerte sich nicht weiter darum. Er hatte den Blick bereits abgewendet, da sprach die junge Frau ihn erneut an. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Aber ich darf wirklich nicht zu spät kommen. Das ist mein erster richtiger Job. Es wäre sehr nett von ihnen, mir zu zeigen, wo ich die Musikschule finde.“ Sie klang verzweifelt. Für Matreus zu verzweifelt, um sie mit einem Kommentar abzuspeisen. Er hatte zwar gelernt, dass helfen und nett sein letztendlich nur Probleme bereiten, aber er konnte es nicht ganz ablegen. So stand er schließlich seufzend auf. „Na gut, kommen Sie. Ich zeige Ihnen den Weg.“


Matreus ging schweigend neben der jungen Frau her, die wie ein Wasserfall redete. So erfuhr er, dass ihr Name Katharina war, sie von ziemlich weit herkam und in Lübeck ihre erste Stelle als Musiklehrerin angenommen hatte. Sie war erst am Vortag spät abends angekommen und hatte deshalb bisher keine Gelegenheit, die Stadt näher kennenzulernen. Matreus hörte sich der Höflichkeit halber alles an. Er nickte und tat interessiert. In Wirklichkeit war er froh, als die Musikschule in Sichtweite kam.

Mitten im Satz unterbrach er die junge Frau. „Das weiße Gebäude dort ist die Musikschule. Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Auf Wiedersehen.“ Er reichte ihr die Hand, um sich zu verabschieden. Doch anstatt sie anzunehmen, fing Katharina an, in ihrer Tasche zu kramen. Sie zog einen Stift und einen Zettel hervor und begann, darauf zu schreiben. Dann hielt sie Matreus das Stück Papier hin. „Das ist meine Handynummer. Ich würde bei Gelegenheit gerne noch mehr von Lübeck sehen. Vielleicht haben Sie ja Lust, mir alles zu zeigen.“ Sie lächelte ihn freundlich an. Matreus nahm den Zettel entgegen und steckte ihn schnell in seine Hosentasche. „Mal sehen, vielleicht. Ich bin beruflich meistens sehr beschäftigt.“ Katharina sah etwas enttäuscht aus, als sie sich verabschiedete und in Richtung Musikschule verschwand. Matreus zuckte nur mit den Schultern und wandte sich in die andere Richtung zum Gehen.


Teil 3
 
Es war schon recht spät geworden, als Saschas Auto in die Einfahrt fuhr. Matreus, der gelangweilt an einen Baum lehnte, sprang auf. „Na endlich, das wurde aber auch Zeit“, murmelte er.

Sascha, Julia und die Kinder waren tatsächlich beim Schwimmen gewesen, wie die nassen Badesachen und Handtücher verrieten. „Kinder, ihr hängt eure Sachen auf, bevor ihr euch aus dem Staub macht!“, rief Julia den Wächtern nach, die bereits im Begriff gewesen waren, in die Scheune zu gehen. Matreus seufzte nicht weniger als die Kinder selbst. Er musste noch eine Weile warten.

„Och Mensch, das ist doch keine Arbeit für Jungs!“, protestierte Pinkas und sah seinen Vater Hilfe suchend an. Doch der zuckte nur mit den Schultern und kümmerte sich um seine eigenen Badesachen. Karo hatte jedoch etwas dazu zu sagen. „Wie bitte!?“, stieß sie entrüstet hervor. „Du hast sie ja wohl nicht mehr alle!“ Noch bevor sie sich in ihren hysterischen Anfall hineinsteigern konnte, mischte sich Leo ein. „Ach komm, lass ihn doch. Oder willst du schon wieder streiten?“, fragte die Kleinste der Wächter. Karo schnaubte nur, packte ihre Sachen zusammen und verschwand damit im Haus. Matreus rollte in seinem Versteck mit den Augen. „Die Probleme will ich haben“, sagte er zu sich selbst.

Kurze Zeit später saßen die Kinder wie so oft in der Scheune zusammen. Matreus schlich näher heran. Leo hatte das Wort ergriffen und versuchte, den anderen etwas zu erklären. „Kasimir hat gesagt, dass wir dann kaum noch Macht haben werden. Und dann können wir ihn nicht mehr aufhalten. Wollt ihr das denn?“ Matreus wurde nicht schlau aus den Worten des Mädchens, deshalb blieb er noch eine Weile. Nun hörte er Ottis Stimme. „Ich glaube, dein Kasimir hat recht. So leid mir das tut. Pinkas, Karo, ihr müsst euch einfach zusammenreißen.“ Karo war entrüstet. „Zusammenreißen? Ich reiße mich ständig zusammen! Der Einzige, der hier ständig stänkert, ist ja wohl dieser Idiot hier!“ Pinkas ließ das natürlich nicht auf sich sitzen. „Das gibt’s doch nicht! Der Idiot steht doch mal echt direkt vor mir! Glaub bloß nicht, dass ich mir das gefallen lasse, du blöde Zicke!“ Pinkas stürzte dermaßen schnell aus der Scheune, dass Matreus sich kaum rechtzeitig verstecken konnte. „Pinkas, jetzt warte doch mal!“, rief ihm Otti hinterher und eilte seinem Bruder nach. Die Mädchen blieben in der Scheune zurück. „So ein Volltrottel!“, schimpfte Karo. Leo ließ sich resignierend ins Stroh fallen.

Matreus hatte genug gehört. Es war offensichtlich, was hier gerade passierte. Er war sich sicher, dass das dem Meister gefallen würde. Und vielleicht würde es ihn sogar versöhnlich stimmen und er würde Gnade vor Recht ergehen lassen. Anderenfalls blühte Matreus nichts Gutes, nachdem er den gesamten Nachmittag unterwegs war und erst so spät zurückkehrte.


Teil 4
 
Matreus betrat mit einem mulmigen Gefühl die Zentrale. Zanrelot stand vor den Bildschirmen und beachtete ihn kaum. Erst, als sein Diener an seinem Platz angekommen war, sprach er ihn wutunterdrückt an. „Ich hoffe für dich, dass du mir etwas Zufriedenstellendes zu berichten hast.“ Matreus schluckte. Zögerlich begann er, zu sprechen. „Die Wächter haben irgendein Problem, das ihre Kräfte schwächen könnte. Sie haben leider nicht weiter darüber gesprochen, weil Pinkas und Karo so sehr gestritten haben, dass Pinkas davongelaufen ist.“ Zanrelot fuhr herum, was dazu führte, dass Matreus erschrocken zurückwich. „Was sagst du da? Sie streiten sich? So heftig, dass sie nicht mehr vernünftig miteinander sprechen können?“ Matreus nickte. „Ja Meister, sie konnten gar nicht richtig miteinander reden.“ Zanrelot grinste böse, als er auf Matreus zuging. „Das ist ja fabelhaft!“ Er musterte seinen Neffen abschätzig. „Aber wahrscheinlich hast du mal wieder keine Ahnung, wovon ich spreche.“ Matreus senkte betroffen den Kopf. Er verstand wirklich nicht, was sein Meister meinte.

Zanrelot schnaubte verächtlich. „Dass man dir immer alles erst erklären muss, wie einem Fünfjährigen! Wenn die Wächter miteinander streiten, lässt die Macht des magischen Quartetts nach. Verstehst du? Solange sie sich nicht ausstehen können, haben sie kaum wirksame Magie gegen mich.“

Matreus nickte und grinste nun ebenfalls. „Oh, ja, ich verstehe. Das ist wirklich fabelhaft.“ Zanrelot schüttelte den Kopf über seinen Diener, der wie immer eine extra Erklärung benötigt hatte. „Ja ja, ist es. Und für mich heißt das, es ist Zeit für einen neuen Plan. Also sieh zu, dass du an deine Arbeit kommst, damit ich in Ruhe nachdenken kann.“ Matreus war erleichtert, dass er für seine lange Abwesenheit scheinbar nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. „Ja Meister“, sagte er und machte sich sofort auf den Weg.

Matreus war schon fast zur Tür heraus, da rief ihm Zanrelot nach. „Meine Seelenhalle muss mal wieder gründlich gereinigt werden. Ich werde das später überprüfen.“ Matreus blieb stehen und schluckte. Er wusste, was es hieß, wenn Zanrelot etwas überprüfte. Sein Meister hatte also nicht vor, den Tagesausflug an die Oberfläche ungesühnt zu lassen. Matreus drehte sich zu Zanrelot um. „Ja Meister, ich mache mich sofort an die Arbeit.“ Dann verließ er die Zentrale.


Teil 5
 
Matreus begann damit, die Seelenhalle zu putzen. Er ging äußerst vorsichtig vor, zu häufig war es ihm bisher schon passiert, dass eine Phiole vom Regal gefallen war. Die „Nachwirkungen“ seines letzten Missgeschicks konnte er noch immer spüren und so bemühte er sich sehr, diesmal keinen Fehler zu machen. Zanrelot wusste genau um die Angst seines Dieners, in der Seelenhalle Mist zu bauen und das nutze er gnadenlos aus. Matreus war jedes Mal schweißgebadet, wenn er diesen Raum betrat, denn es endete fast immer in einer Katastrophe für ihn.

An diesem Tag war etwas anders als sonst. Matreus versuchte wie immer, äußerst vorsichtig zu sein, nichts zu beschädigen und dennoch den Schmutz zu beseitigen. Doch er konnte sich nicht so recht konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab. So sehr er auch versuchte, seine Arbeit ordnungsgemäß zu erledigen, er schaffte es einfach nicht, SIE aus dem Kopf zu bekommen. Er dachte an ihre Stimme, ihre Haare, ihr Gesicht. Matreus wusste nicht, was das sollte, wieso dieses Mädchen ihn nicht losließ.

„Was zum Teufel tust du da!?“ Matreus zuckte zusammen und drehte sich um. Dabei passierte es tatsächlich beinahe. Er konnte die Phiole gerade noch auffangen. Erleichtert stellte er sie zurück auf das Regal. Matreus wusste nicht, wie lange Zanrelot schon dort stand und ihn beobachtete. Doch es musste schon eine ganze Weile gewesen sein. „Du putzt diesen einen Fleck jetzt schon seit 5 Minuten. Ich denke, er ist sauber.“ Die gereizte Stimme seines Meisters verhieß nichts Gutes. „Ich bin gekommen, um deine Arbeit zu überprüfen, Matreus. Doch nun muss ich feststellen, dass du noch nicht fertig bist.“

Matreus senkte wie so oft den Blick. „Bitte verzeiht, ich...“ Eine kurze Geste des Meisters reichte, um ihn verstummen zu lassen. Zanrelot trat ganz nah an seinen Diener heran und musterte ihn eindringlich. Matreus begann, leise zu zittern. „Erst erdreistest du dich, einen Befehl zu missachten, dann treibst du dich ewig an der Oberfläche herum und nun muss ich feststellen, dass du bei deiner Arbeit trödelst. Du solltest dich vorsehen, Matreus.“ Matreus wusste, dass es besser war, jetzt zu schweigen. Er wäre auch nicht in der Lage, auch nur ein Wort herauszubringen, zu sehr fürchtete er seinen Meister. Dieser hatte sich wieder ein kleines Stück von ihm entfernt. „Es scheint mir so, als würde etwas deine Konzentration stören. Es kommt mir so vor, als hätte es etwas mit Gefühlen zu tun. Und das gefällt mir gar nicht. Sollten deine Gefühle meine Pläne gefährden, hast du ein Problem, Matreus. Und dieses Problem werde ich sein.“ Matreus nickte eifrig und schaffte es sogar, ein paar Worte hervorzubringen. „Meister, ich habe den Gefühlen abgeschworen, wie Ihr es mich gelehrt habt. Ich war eben nur etwas durcheinander. Wenn Ihr erlaubt, werde ich jetzt weitermachen.“ Zanrelot hatte diese Antwort erwartet. Er wusste, dass es nicht den Tatsachen entsprach. Matreus hatte immer versucht, die Gefühle abzulegen, das stimmte. Doch wirklich gelungen war ihm das wohl nie. Für den Meister war sein Diener einfach nur verweichlicht. Und er nahm sich fest vor, das zu ändern. Und zwar so bald wie möglich.


Teil 6
 
Matreus lag auf dem Boden in der Zentrale. Er wusste nicht mehr, wie oft er in den letzten Minuten gegen die Wand geschleudert worden war, denn er hatte aufgehört zu zählen. Jeder Knochen schmerzte und er konnte kaum noch richtig atmen. Die ein oder andere Rippe war sicher gebrochen, Blut rann aus Nase und Mund und jede Bewegung tat höllisch weh.

Zanrelot hatte seinem verweichlichten Diener eine ordentliche Lektion erteilt, nachdem ihm vor lauter ängstlicher Übersorgfalt tatsächlich eine Phiole vom Regal gefallen und zerbrochen war. „Das wird dir eine Lehre sein, du nichtsnutziger Bastard!“, hatte der Meister gebrüllt, ehe er ihn am Boden liegend in der Zentrale zurückgelassen hatte.

Matreus setzte sich stöhnend auf. Ihm war bewusst, dass er nicht lange dort sitzen bleiben durfte. Schließlich hatte er noch Aufgaben zu erledigen und außerdem duldete Zanrelot keine Zimperlichkeiten. Ob man sich nur leicht verletzt hatte oder tatsächlich etwas gebrochen war, spielte für ihn keine Rolle. So quälte Matreus seinen Körper, sich zu erheben. Unter Schmerzen machte er sich daran, die Blutflecken auf dem Boden zu beseitigen, ehe er die Zentrale verließ, um sich anderen Aufgaben zu widmen.


Teil 7
 
Drei Tage später machte sich Matreus wieder auf den Weg zu den Wächtern. Daran, dass ihm jede Bewegung Schmerzen bereitete, hatte er sich schon vor langer Zeit gewöhnt. Er hatte den Auftrag bekommen, zwischen Karo und Pinkas noch mehr Zwietracht zu sähen, indem er ihnen kleine Streiche spielte. So kam es, dass Karos MP 3-Player plötzlich in Pinkas‘ Zimmer zu finden war, oder Pinkas‘ Fußballsammelbilder in Karos Mülleimer landeten. Das laute Geschrei, das aus dem Haus drang, erfüllte Matreus mit Zufriedenheit. Lächelnd stand er hinter einem Baum in dem angrenzenden Wald.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen und war erstaunt, dass er etwas darin fühlte. Erst, als er den Zettel herausholte, dämmerte es. „Katharina“, flüsterte er leise. Er hatte das Mädchen in den letzten Tagen beinahe vergessen, besser gesagt verdrängt. Die Erinnerung an diese wunderschöne junge Frau hatte ihm so viel Ärger eingebracht, dass er einfach aufgehört hatte, an sie zu denken. Doch nun, da er ihre Handynummer in der Hand hielt, war sie wieder voll da. Er erinnerte sich an jedes ihrer Worte, sogar ihren Geruch hatte er sofort wieder in der Nase. Und so sehr er auch versuchte, dies alles wieder zu verdrängen, er konnte es nicht.

Wie ferngesteuert zog er sein Handy hervor und wählte die Nummer. Als sie tatsächlich abhob, brachte er kaum ein Wort heraus. Matreus war sich sicher, dass sich Katharina nicht einmal mehr an ihn erinnerte. Er kam sich so dumm vor, dort tatsächlich angerufen zu haben. Doch ganz entgegen seiner Befürchtung, erkannte Katharina ihn schon an seinem schüchternen „Hallo“. Und sie schien sich zu freuen, von ihm zu hören. Sie schlug kurzerhand vor, sich im Café am Traveufer zu treffen. Matreus willigte ein.

Nachdem er aufgelegt hatte, fragte er sich, was er da soeben getan hatte. Er hatte sich mit einem Mädchen verabredet, am Ufer der Trave. Dabei hatte er einen Auftrag seines Meisters auszuführen und auch noch einige andere Arbeiten zu erledigen. Doch irgendetwas zwang ihn dazu, dies alles für unwichtig zu befinden und so kam es, dass er sich auf den Weg zum Café machte.

Katharina wartete bereits auf ihn. Sie hatte einen Tisch direkt am Wasser ausgesucht. Da es dort äußerst windig war, flogen ihre Haare regelrecht herum. Matreus blieb vor dem Tisch stehen und betrachtete die junge Frau. Ein wenig verlegen durch den Blick des jungen Mannes, dessen Namen sie noch immer nicht erfahren hatte, stand sie auf und reichte ihm die Hand. „Hallo! Ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass Sie angerufen haben. Setzen Sie sich doch.“ Matreus folgte ihrer Aufforderung mit einem schüchternen Lächeln. Sie hatte bereits einen Cappuccino bestellt und rührte darin herum, während sie von den letzten Tagen erzählte. „Das ist ja alles so aufregend hier. Ich bin immer noch nicht dazu gekommen, in die Stadt zu gehen, so viel habe ich zu tun. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe mir jetzt extra Zeit genommen und einen Termin verschoben, damit wir in Ruhe einen Kaffee trinken können.“ Sie sah Matreus, der keine Anstalten machte, etwas zu bestellen, ein wenig verwirrt an. „Wollen Sie denn keinen Kaffee? Oder vielleicht etwas anderes?“ Matreus schüttelte leicht den Kopf. „Nein danke“, sagte er zögerlich. „Ich... Es ist schon spät. Kaffee tut mir um diese Uhrzeit nicht mehr gut.“ Katharina gab sich schulterzuckend damit zufrieden.

Eine Weile schwiegen sie einfach. Dann sah sie Matreus plötzlich sehr verlegen an. „Oh, äh, ich habe vorhin so viel geredet. Es tut mir leid, dass ich das erst jetzt frage... Wie heißen Sie eigentlich?“ Matreus lächelte die junge Frau an. „Mein Name ist Matreus“, sagte er. Katharina war erstaunt. „Matreus, was für ein ungewöhnlicher Name. Aber er gefällt mir sehr gut. Matreus, das klingt toll, so ... mittelalterlich.“ Matreus musste lachen. „Ja, mittelalterlich, das trifft es wohl“, stellte er fest.

Katharina sah auf die Uhr und blickte Matreus enttäuscht an. „Mein nächster Termin ist in fünf Minuten. Wie blöd. Ich hätte gerne noch länger mit Ihnen geplaudert. Wie fänden Sie es, wenn wir uns öfter hier treffen würden? Haben Sie morgen wieder ein Stündchen Zeit? Ich würde mich freuen.“

Nun wurde Matreus verlegen. Er hatte noch keine zehn ganze Sätze zu diesem Mädchen gesagt, und dennoch schien sie ihn nett zu finden, ihn vielleicht sogar zu mögen. Natürlich wollte er sie wiedersehen. Doch wie sollte er das anstellen? Der Meister würde ihm so etwas garantiert nicht gestatten. Überhaupt, der Meister... Matreus‘ Gesichtsausdruck wurde starr. Sollte Zanrelot davon erfahren, könnte Matreus froh sein, mit ein paar gebrochenen Rippen davon zu kommen. Doch auch die Angst vor seinem Meister konnte nicht verhindern, was er nun tat.

Matreus stand auf, lächelte Katharina an und sagte beinahe geistesabwesend: „Natürlich, ich werde mir die Zeit nehmen. Wir sehen uns morgen. Gleiche Zeit, gleicher Ort.“

In den nächsten Tagen schaffte es Matreus tatsächlich, jeden Tag um dieselbe Zeit im Café zu sitzen. Er sagte seinem Meister stets, er würde sich um den Streit zwischen Karo und Pinkas kümmern, was er vor und nach dem Café-Besuch auch immer sorgfältig erledigte. Er wollte Zanrelot keinen Grund geben, misstrauisch zu werden und doch hatte er jedes Mal, wenn zu ihm zitiert wurde, ein äußerst schlechtes Gefühl.

Eine Woche war bereits vergangen und jeden Tag hatten sich Katharina und Matreus getroffen. Meist redete nur Katharina. Sie erzählte von ihrer Familie, mit der sie nun nur noch telefonisch Kontakt hatte, von ihrer Kindheit in einem kleinen, idyllischen Dorf und von ihren abenteuerlichen Urlauben im Ausland. Matreus genoss jede Minute mit ihr. Und mit jedem Tag fiel ihm der Abschied schwerer. Er konnte sich einen Nachmittag ohne sie kaum noch vorstellen. Und doch wusste er, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.


Teil 8
 
„MATREUS“, schallte es durch die Unterwelt. Matreus war gerade damit beschäftigt, Zanrelots Mäntel zu entstauben. Er lies sofort alles stehen und liegen und eilte zur Zentrale. Ganz außer Atem kam er dort an.

„Da bist du ja endlich!“, zischte Zanrelot verächtlich. „Mein Plan steht. Ich werde in Kürze zuschlagen. Das heißt, du kannst damit aufhören, die Wächter zu ärgern.“

Matreus blieb mit offenem Mund vor seinem Meister stehen. Damit aufhören, die Wächter zu ärgern, das hieße, er müsste nicht mehr nach oben gehen und das wiederum bedeutete... Nein, das durfte nicht passieren. Matreus konnte und wollte seine Nachmittage mit Katharina nicht verlieren. „A... Aber Meister. Vielleicht solltet Ihr das nochmals überdenken. Ich meine, die Kinder sind ja nicht dumm und...“

Matreus verstummte augenblicklich, rieb sich die Wange und zog ängstlich den Kopf ein. Zanrelot hatte weit ausgeholt und ihm eine saftige Ohrfeige verpasst. „Willst DU mir jetzt etwa sagen, was ich zu tun habe!?“, brüllte er entrüstet. Matreus trat demonstrativ von der Plattform herunter und blickte verängstigt auf den Boden. „Nnnn... Nein, n... natürlich nicht.“ „Das will ich dir auch geraten haben“, zischte der Meister ärgerlich. Zanrelot musterte seinen Diener. Etwas an ihm störte ihn. Er konnte nicht benennen, was es war, doch Matreus benahm sich anders als sonst. Schon die ganze Woche über hatte er das Gefühl, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmte. Er war viel ausgeglichener, ja, um nicht zu sagen fröhlich. Zanrelots Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Ich glaube, die viele Sonne tut dir tatsächlich nicht gut. Vielleicht wäre ein Aufenthalt im Verlies mal wieder ganz angebracht.“ Matreus zog seinen Kopf noch weiter ein. Schweigend verharrte er in seiner Position. „Du hast Glück, dass ich dich jetzt brauche, deshalb müssen wir das auf später verschieben.“

Zanrelot drehte sich zu den Bildschirmen und schaltete auf das Haus der Wächter. Mit einem Finger klopfte er gegen den Monitor. „Du wirst jetzt nach oben gehen und das hier in Lübeck verteilen.“ Er reichte Matreus eine kleine Schachtel. Darin befand sich ein kleiner Zerstäuber. Fragend besah Matreus das Fläschchen. Zanrelot verdrehte genervt die Augen. „Das ist ein Zerstäuber, du Schwachkopf.“ Matreus wagte es kaum, zu fragen, doch dann tat er es trotzdem. „Ja Meister, aber ... was befindet sich in dem Fläschchen?“ Zanrelot war verärgert über Matreus‘ neugierige Nachfrage. Ein kalter Blick genügte als Antwort. Matreus verstand sofort. Er nickte schnell, packte das Fläschchen wieder in die Schachtel und verließ den Raum.


Teil 9
 
Matreus war gerade unterwegs, um den Inhalt des Fläschchens in ganz Lübeck zu zerstäuben. Er konnte keine Verhaltensänderung bei den Menschen feststellen, doch er dachte nicht weiter darüber nach. Er tat, was Zanrelot ihm aufgetragen hatte, was auch immer es bringen mochte.

Die Uhr der Marienkirche schlug 15 Uhr. Matreus schreckte auf. 15 Uhr! Es war Zeit für das Treffen im Café! Er hetzte durch die halbe Stadt, ehe er völlig ausgepumpt dort ankam. Katharina war gerade aufgestanden, um zu gehen. „Warte, bitte warte!“, rief Matreus ihr zu. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung an. „Mein Job, ich musste noch was erledigen... Bitte entschuldige.“ Matreus muss ziemlich verzweifelt ausgesehen haben, denn Katharina umarmte ihn plötzlich. „Schon gut, jeder kann sich mal verspäten. Was hältst du davon, wenn wir ein wenig spazieren gehen?“

Matreus wollte sich gegen die Umarmung wehren. Es war ihm unangenehm, so viel Nähe zuzulassen. Etwas in ihm drängte ihn, sich zur Wehr zu setzen, diese Gefühle nicht zuzulassen. Doch im selben Moment spürte er eine nie gekannte Wärme, die seinen gesamten Körper durchflutete. Er konnte dieses Gefühl nicht fassen, nicht beschreiben, es war einfach unsagbar schön. Noch nie zuvor hatte er so etwas Wunderbares gefühlt. Statt Katharina von sich zu stoßen, legte er seine Arme behutsam auf ihrem Rücken ab. Er genoss diesen kurzen Moment der Zuneigung in vollen Zügen.

Schließlich gingen sie die Trave entlang. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Irgendwann ergriff Katharina Matreus‘ Hand. Er lies sie gewähren. Ein wenig unwohl fühlte er sich schon, denn es war alles so neu für ihn. Eine Berührung ohne Schmerzen zu erleiden und dann auch noch dieses seltsame neue Gefühl, das er immer noch nicht benennen konnte.

Nach einer Weile kamen sie am Hafen an. Plötzlich lachte Katharina und Matreus sah sie fragend an. Sie zeigte auf den Boden. „Hier hast du gesessen, vor fast genau einer Woche. Da hab ich dich angesprochen und du hast mir den Weg zur Musikschule gezeigt. Sag bloß, das hast du schon wieder vergessen.“ Matreus lächelte. „Nein, das habe ich nicht vergessen und das werde ich auch niemals vergessen.“

Katharina war gerührt. Sie wusste kaum etwas über diesen jungen Mann. Genaugenommen wusste sie gar nichts über ihn, außer seinem Namen. Sie hatte ihn nie nach seinem Beruf gefragt oder danach, woher er kam, wo er wohnte oder was er den ganzen Tag tat. Sie wusste nur, dass sie ihn liebte und zwar von ganzem Herzen. Nur für das, was er war und wer er war, Matreus.

Matreus wurde ein wenig rot, weil Katharina ihn so lange ansah. Unsicher erwiderte er ihren Blick. Sie hatte natürlich seine Unsicherheit bemerkt und sie wusste, dass er zu schüchtern war, um diesen nächsten Schritt zu wagen. Deshalb ergriff sie selbst die Initiative. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: „Hab keine Angst.“ Dann küsste sie ihn.

Matreus fühlte sich wie ein anderer Mensch. Er fühlte sich überhaupt zum ersten Mal wie ein richtiger Mensch. Noch niemals zuvor hatte er solche Gefühle zugelassen. Nicht, seit er Amalie verfallen gewesen war, die sich für Jona entschieden hatte. Es war sogar noch intensiver als damals, denn Amalie hatte er nie geküsst und sie hatte seine Gefühle nie erwidert. Diesmal ging alles jedoch von der Frau aus. Von Katharina, die ihn wirklich sehr zu mögen, oder vielleicht sogar zu lieben schien.


Teil 10
 
Wie vom Blitz getroffen wurde Matreus plötzlich herumgeschleudert. Er landete unsanft an der Wand und stöhnte laut auf. Katharina kreischte panisch. Als Matreus aufsah, erschrak er schrecklich. Sofort war er wieder auf den Beinen.

Ihm gegenüber stand Zanrelot mit wütend grünen Augen, die zu ganz kleinen Schlitzen verengt waren. Matreus stockte der Atem. Katharina stand wie angewurzelt in der Mitte der Zentrale und sagte kein Wort. Sie zitterte erbärmlich. Es war unverkennbar, dass sie einen riesigen Schock erlitten hatte. Matreus schluckte. Er wäre gern zu ihr hinüber gegangen und hätte sie getröstet, doch er wagte es nicht, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.

Zanrelot ging langsam auf ihn zu. Matreus brachte keinen Ton heraus. Das Einzige, was er machen konnte, war, seinen Meister flehend, angsterfüllt und untertänig anzusehen. Doch Zanrelot ließ sich von so etwas wie immer nicht beeindrucken. „Das tust du also, wenn ich dich nach oben schicke! Ich habe dich den ganzen Nachmittag beobachtet, und wie du dir sicher denken kannst, hat es mir nicht gefallen!!!“ Mit jedem Wort wurde der Meister lauter und Matreus schrumpfte immer weiter in sich zusammen.

Der Herrscher der Finsternis drehte sich von seinem Diener weg und ging auf Katharina zu. Matreus machte nur einen kleinen Schritt vorwärts, zu mehr war er nicht in der Lage. Er hielt den Atem an, als Zanrelot um das Mädchen herumging. „Das ist also das Gör, das dir den Verstand vernebelt. Mal sehen, was ich nun mit ihr machen werde.“

Matreus erschrak. „Meister, bitte...“ „Schweig!“, befahl Zanrelot scharf. Matreus wusste, dass jedes Widerwort und jede falsche Bewegung seinerseits Katharina nur schaden würde. Deshalb gehorchte er sofort. Zanrelot fuhr mit den Fingern durch Katharinas Haarspitzen, er besah ihre Hände und roch an ihrer Haut. Matreus blieb beinahe das Herz stehen. Der Meister schüttelte den Kopf. „Weibliche Duftstoffe, damit versuchen sie, dir den Verstand zu rauben. Dieser Schlampe ist das ja beinahe gelungen. Nun, ich werde dir den Gefallen tun, und dich von ihr erlösen.“ Zanrelot legte eine kurze Pause ein. Dann sah er Matreus fest in die Augen. „Und danach werde ich mich mit dir beschäftigen.“

Zanrelot musste nur eine kurze Handbewegung ausführen, schon fand sich Matreus im Verlies wieder. Verzweifelt sah er sich nach allen Seiten um. Er wusste nicht, was sein Meister nun mit Katharina machen würde. Die Sorge um seine große Liebe machte ihn beinahe verrückt.


Teil 11
 
Nach einigen Stunden im Verlies hielt er es nicht mehr aus. Zum allerersten Mal in seinem gesamten Unterweltleben widersetzte sich Matreus einer Bestrafung. Er zückte seinen Zauberstab und trat aus dem Verlies heraus. Er konnte nicht tatenlos dort sitzen und darauf warten, dass Zanrelot Katharina tötete. Er musste ihr helfen, egal, wie schlimm es für ihn selbst enden sollte.

Lautlos schlich er durch die Gänge. Die Zentrale war leer, also trat er ein. Matreus suchte mittels des Computers nach seiner Geliebten. So wurde er schnell fündig. Katharina befand sich in einem recht kleinen, sehr feuchten Raum, der zahlreiche Folterinstrumente beinhaltete. Matreus schauderte. Katharina war mit einer Kette, die von der Decke hing, in der Mitte des Raums gefesselt. Da die Kette recht kurz war, musste sie auf den Zehenspitzen stehen, die Arme waren zum Zerreißen angespannt. Tränen liefen über ihre Wangen und Matreus Herz schmerzte unendlich bei diesem Anblick.

Er machte sich auf den Weg zu der Kammer. Erstaunlicherweise kam er unentdeckt dort an. Er trat vorsichtig ein und schloss die Tür hinter sich. Matreus warf einen kurzen prüfenden Blick in alle Richtungen. Niemand befand sich im Raum. Niemand, als seine Katharina, die ihn angsterfüllt und panisch anstarrte. Er ging auf sie zu und begann damit, die Ketten zu lösen.

„Ich habe dich bereits erwartet“, erklang eine Stimme hinter ihm. Matreus schloss die Augen. Natürlich hatte er seinen Meister erkannt. Zanrelot ging um ihn herum. „So, du willst sie also retten. Denkst du tatsächlich, du könntest sie vor mir beschützen? Und meinst du wirklich, du kommst damit davon?“ Zanrelot schüttelte den Kopf. „Ich muss sagen, ich habe dich überschätzt. Ich dachte, du wärst ein wenig intelligenter, Matreus.“

Matreus Gefühle spielten verrückt. Auf der einen Seite wollte er sich vor Katharina werfen, er wollte sie beschützen, ihr helfen, Zanrelot irgendwie davon abbringen, ihr wehzutun. Doch die andere Macht in ihm kämpfte gegen diese Gefühle an. Sie drängte ihn, sich seinem Meister zu unterwerfen, zu tun, was er verlangt, für sein Fehlverhalten um Vergebung zu bitten. Keiner der beiden Seiten konnte er nachgeben. Stattdessen stand er regungslos im Raum und wusste weder ein noch aus.

Zanrelot ergriff unterdessen eine lange, mehrschwänzige Peitsche. Er lies sie einige Male durch die Luft sausen und jedes Mal zuckte Matreus mehr zusammen. Der Herrscher der Finsternis platzierte sich hinter Katharina und grinste seinen Diener böse an. „Eigentlich wollte ich ihr ein schnelle Ende bereiten. Doch da wir jetzt einen Zuschauer haben, möchte ich dir auch etwas bieten.“ Matreus schluckte schwer. Er sah in Katharinas Augen, die grenzenlose Furcht ausdrückten. Das panische Geschrei wurde durch den Knebel in ihrem Mund unterbunden.

Matreus schüttelte verzweifelt den Kopf. Er sackte vor seinem Meister auf die Knie und begann jämmerlich zu flehen. „Bitte Meister, verschont sie. Ich habe Euch enttäuscht und erzürnt, nicht sie. Bitte, wenn jemand diese Strafe verdient hat, dann bin ich das. Ich flehe Euch an. Habt Erbarmen.“

Zanrelot war sichtlich überrascht. Doch er hatte bereits damit begonnen, seine Strafe auszuführen und er würde das jetzt auch durchziehen. Und so lies er die Peitsche einige Male kräftig auf ihren Rücken knallen.

Matreus blieb fassungslos am Boden knien. Er wollte nicht hinsehen, doch er konnte seinen Blick nicht abwenden. Unbarmherzig fuhr der Meister mit seinem grausamen Spiel fort. Völlig niedergeschlagen und unfähig, etwas zu tun, musste Matreus alles mit ansehen.

Erst, als Katharina bewusstlos war, verlor Zanrelot das Interesse an ihr. Er schnipste nur kurz und schon löste sich die Kette von der Decke. Katharina sackte zusammen. Matreus schaffte es gerade noch, sie aufzufangen. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und streichelte ihre Wangen.

Weinend und gebrochen blickte er zu seinem Meister auf, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Matreus legte Katharina vorsichtig auf dem Boden ab, dann stellte er sich mit gesenktem Kopf vor Zanrelot. Sein Meister hatte ihm soeben klar und deutlich bewiesen, wer hier das Sagen hatte. Und er, Matreus, konnte rein gar nichts dagegen tun. Er wusste, dass er immer das bleiben würde, was er war, ein unbedeutender Diener.


Teil 12 / harte Version
 
Matreus hatte Katharina auf Zanrelots Anweisung hin in eine andere Kammer gebracht. Er durfte den Raum nicht betreten, außer er bekam den direkten Befehl dazu. So vergingen einige Tage, in denen Matreus nicht wusste, wie es um Katharina stand.


Dann, eines Tages, sollte er Katharina nach oben schaffen. Freudig überrascht stürzte Matreus in das Zimmer. Wie erstarrt blieb er stehen. Zanrelot schob sich an ihm vorbei, ging auf den leblosen Frauenkörper zu und lachte böse. „Ich habe dir doch gesagt, ich erlöse dich von ihr.“ Er berührte sie kurz mit seinem grünen Fingernagel und schon verschwand die Leiche aus der Kammer.

Zanrelot sah Matreus an, als wäre nichts geschehen. „Geh an deine Arbeit.“

Traurig und niedergeschlagen erledigte Matreus seine Aufgaben. Er hatte resigniert. Er hatte sich seinem Schicksal ergeben. Sein Herz war gebrochen, für alle Zeiten. Niemals mehr würde er lieben können. Zanrelot hatte sein Ziel erreicht.



Teil 12 / alternatives Ende (softe Version)
 
Katharina erwachte langsam aus ihrer Ohnmacht. Sie schlug die Augen auf und sah Matreus, der gebrochen vor dem Mann stand, der sie soeben grausam misshandelt hatte. Sie schaffte es unter Schmerzen, den Knebel aus ihrem Mund zu entfernen und hauchte ganz leise „Matreus“.

Kaum hörbar und doch ganz klar vernahm Matreus die Stimme seiner Geliebten. Er sah zu ihr hinüber und blickte in ihre Augen. Was er darin las, konnte er kaum begreifen. Matreus erkannte Stolz, Mut und Liebe in ihrem Blick. Verwirrt lies er ihre Augen auf sich wirken. Wie konnte es sein, dass sie nach allem, was sie erleiden musste, noch immer Liebe für ihn empfand?

Matreus spürte, dass etwas in ihm aufkeimte. Er fühlte sich selten so stark und selbstbewusst. Er zückte blitzschnell seinen Zauberstab und richtete sich vor Zanrelot auf. „Zurück!“, befahl er mit zitternder Stimme. Zanrelot hob eine Augenbraue. „Du denkst, du kannst dich gegen mich auflehnen? Gegen MICH!?“ Seine Stimme bebte vor Wut. Matreus zitterte. „Ich... ich werde Euch vernichten, wenn Ihr Katharina oder mir zu nahe kommt!“ Zanrelot lies sich nicht beeindrucken. Er ging einen Schritt auf seinen Diener zu und hob die Hand für einen Zauber.

In diesem Moment dachte Matreus nicht mehr nach. Er schoss einen Strahl ab und warf sich anschließend schützend auf Katharina. Zanrelot ging getroffen zu Boden. Matreus interessierte sich nicht dafür, was mit seinem Meister war. Er packte seine Geliebte und drehte sich an die Oberfläche. Er trug sie bis weit über die Stadtgrenzen Lübecks hinaus, bis er sich sicher war, vom Einflussbereich Zanrelots weit genug entfernt zu sein. Dann legte er sie ins Gras, strich über ihr Gesicht, küsste ihre Wange und flüsterte ihr zu: „Hab keine Angst. Jetzt wird alles gut.“

ENDE



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© Stefanie Jaschek